Hätten wir die Eisenbahn nicht gehabt











Aus den Jahren 1870/71 bei Ortschronisten

Von der Oberahr. Im Jahre 1869 hielt der Ausbau der Bahnlinie Kall-Trier die Ortschaften auch des Oberahrbereiches in seinem Bann. Man begrüßte die endlich aufgenommene Verkehrserschließung, war aber zugleich beunruhigt über das Abwandern der ländlichen Arbeitskräfte. So wurden beim Bahnbau „einem tüchtigen Arbeiter 25 Silbergroschen bis 1 Thaler Lohn pro Tag gegeben“. Da konnten die bäuerlichen Betriebe nicht Schritt halten. Die Geschehnisse des Jahres 1870 hat der Dollendorfer Ortschronist breit dargestellt. Er bewunderte die Schnelligkeit, mit der die Eisenbahn die deutschen Truppen an die Grenze schaffte, beschreibt aber auch die schwierigen Verhältnisse am Kaller Bahnhof: „Sämtliche Pferde wurden sofort gemustert und alle brauchbaren wurden von der Militärverwaltung angekauft. Groß war der Jammer und die Besorgnis, nicht nur in denjenigen Familien, welche Söhne unter den Truppen hatten, sondern bei allen gefühlvollen Menschen, angesichts des Elends, welches ein solcher Krieg zur Folge haben mußte. Sämtliche Pferde, die nicht bei der Musterung gezogen worden waren, mußten Ende Juli mit Fuhrwerk in Call sich stellen, um dort Gepäck und Proviant aller Art aufzuladen und nach der französischen Grenze zu transportieren. Die Eisenbahn war nämlich, obwohl in Angriff genommen und bis Call fahrbar, noch nicht weiter vollständig fertiggestellt. Eine Menge von Fuhrwerken häufte sich daher am Bahnhofe zu Call an und harrte oft lange ihrer Ladung. Nachdem sie diese gefaßt hatten, fuhren sie der Grenze Frankreichs zu. Tag und Nacht mit den Pferden unter freiem Himmel, in Sturm und Regen zubringend.“

Im September und Oktober kehrten dann die Fuhrleute mit ihren Gespannen zurück. „Sie waren in einem äußerst erbärmlichen und beklagenswerten Zustande; dazu waren Fuhrleute und Pferde krank von den ausgestandenen Strapazen und Entbehrungen.“ Die Ernährungslage bereitete wegen der schlechten Ernte im Oberahrbereich tiefe Besorgnis. „Mancher Hausvater“, so lesen wir beim Chronisten, „mag wohl mit Schluß dieses Jahres mit Zittern und Bangen für die Zukunft dem Neuen Jahre entgegen gesehen haben.“ Das Jahr 1871 ist in den Ortschroniken gebührend als das Jahr des Friedens hervorgehoben worden. Für die örtlichen Verhältnisse ist zu erwähnen, daß in jenem Jahr die Witterung durchgehend kalt war, „bis zum Monat Mai fiel noch Schnee; am 30. Mai noch so viel, daß der Boden vollständig damit bedeckt war.“ Die allgemeine Wirtschaftslage wird als schlecht bezeichnet.

„Jeder klagte über Mangel an Geld“.

Die inzwischen fertiggestellte Bahnlinie Kall-Trier wird vom Chronisten lobend erwähnt, als es darum ging, Ernährungsschwierigkeiten zu beheben. „Und in der Tat, hätten wir die Eisenbahn nicht gehabt, es wäre in diesem Jahre mit der hiesigen Gegend schlecht bestellt gewesen. Für die Bürgermeistereien Blankenheim (mit Blankenheim, Blankenheimerdorf, Mülheim, Reetz), Dollendorf (mit Dollendorf, Ahrhütte, Ripsdorf, Hüngersdorf, Waldorf, Alendorf, Nonnenbach), Cronenburg und Marmagen sind 1230 Zentner Hafer von der Insel Rügen, 4465 Zentner Kartoffeln von Breslau, 204 Zentner Erbsen und 80 Zentner Wicken von Galizien bezogen worden.“

Das Jahr 1872 sichert die Ernährung, legt aber auch dem verantwortungsbewußten Zeitgenossen manche Fragen auf. Da berichtet der Blankenheimer Ortschronist: „Der hiesige Landmann sah nach so manchen kargen Erntejahren sich in diesem Jahre wenigstens wieder einmal in der Lage, daß er ohne bange Nahrungssorgen der nahen Zukunft entgegensehen konnte. Die Fruchtpreise heilten sich im ganzen ohne erhebliche Aenderungen auf der Höhe der Vorjahre, dagegen steigerten sich die Preise des Viehes zu einer nie dagewesenen Höhe. Für ein Pferd, wohlgebaut und nicht über ein mittleres Alter, wurde bis zu 250 Thaler bezahlt. Für einen mittleren schönen Arbeitsochsen gab man 100 Thaler; desgleichen für eine mittlere schöne Kuh 70 bis 80 Thaler. Die Arbeitslöhne für Handwerker und Tagelöhner sowie die Gesindelöhne fingen bei dem sehr regen Betriebe der Fabriken allerwärts an, sich noch zu steigern, so daß man mit Recht sich die Frage stellen konnte, wo das endlich hinausgehe.

-ot-








Quelle: Kölnische Rundschau vom 7. Januar 1954
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