Erlebnisse eines Buirer Eisenbahners in seiner 50-jährigen Dienstzeit
von Peter Müllenmeister




6. Besetzung des Weichenstellwerks Bw. Bf Buir und des Fahrkartenschalters mit Frauen (1942)




In den letzten Kriegsjahren des zweiten Weltkrieges wurden mehrere meiner Mitarbeiter zum Militär oder als Mil.-Eisenbahner für die besetzten Gebiete Holland, Belgien und Frankreich einberufen. Aus diesem Grunde wurde der Fahrkartenschalter, Weichen- und Signalstellwerk Bw Bf Buir am Westende des Bahnhofs mit Frauen besetzt. Für weibliche Betriebsbedienstete bestanden die gleichen Einstellungbedingungen wie für männliche Kräfte, d.h. die Frauen mußten 21 Jahre alt, körperlich und geistig gesund sein. Bei der im Sommer 1944 regen Fliegertätigkeit ist es oft vorgekommen, daß bei Fliegeralarm und herannahenden Fliegern die eine oder andere Weichenwärterin, die alleine auf dem 600 m vom Bahnhofsgebäude entfernten Stellwerk Bw Dienst verrichtete, sich aus Angst bei dem Fahrdienstleiter (Fdl) abmeldete und das Stellwerk verließ, um in der weiteren Entfernung unter einem Baum oder Strauch Schutz zu suchen.

Ab und zu kam es vor, daß um diese Zeit ein Zug unterwegs war. In solchem Falle mußte mein Vertreter oder ich selber mit einem Fahrrad vom Bf zum Stellwerk Bw fahren, Weichen und Signale bedienen und nach der Durchfahrt des Zuges die Signale wieder auf Halt stellen, den elektr. Streckenblock bedienen, um einen Zug nicht unnötig aufzuhalten und in Gefahr zu bringen. Z. Zt. leben in Buir noch eine Schalterbeamtin und eine Weichenwärterin, die im Kriege Mitarbeiter waren. Desgl. wohnen 2 Frauen aus Manheim z.Zt. in Merzenich. Von den männl. Kollegen leben noch Mitarbeiter aus dem letzten Kriegsgeschehen als Ruhestandsbeamten in Golzheim, Merzenich, Düren und Eschweiler b. Aachen, mit denen man gelegentlich über die damalige Zeit Erinnerungen austauscht.

Mitte Nov. 44 wurden die weibl. Mitarbeiter entlassen und mit ihren Familien evakuiert. Die Fahrkartenausgabe war Mitte Nov. 44 geschlossen worden, weil der Zivilverkehr eingestellt war. Der Güterverkehr existierte schon seit längerer Zeit nicht mehr.

Seit Sommer 1944 hatte ein Zug bayerische Eisenbahnpioniere (EPK 13) im Gleis 8 Bf Buir Quartier bezogen. Um die gleiche Zeit wurde ein Zug mit zwei Eisenbahnlangrohr-Geschützen im Gleis 9 abgestellt. Die Pioniere bauten in 2 Tagen eine Militärrampe am Ladestraßengleis 4 für ca. 20 Wagen zum Entladen von Schwerfahrzeugen außer Panzern. Die Züge mit Panzern wurden ausschließlich an der Kopframpe entladen. Hierbei wurde der Zug mit dem ersten Wagen fest an die Kopframpe rangiert. Die Kopfwände der Wagen wurden umgeklappt mittels Übergangsbühnen, die von der Rampe zum Wagen und von einem Wagen zum anderen gelegt wurden, so daß die Panzer vom Zuge auf die Straße fahren konnten.

In der Regel muß die Langrohrgeschütz-Kompagnie einmal in der Woche Exerzierübungen mit den Geschützen machen, wobei die Geschützrohre mit der Mündung hoch gegen Westen gerichtet wurden. Im geschlossenen Zug war das nicht möglich, daher mußten unsere Rangierer vor den Geschützwagen Lücken ziehen, die nach Beendigung der Übung wieder geschlossen wurden, weil die Gleise nicht ausreichten, um die Zuglücken dauernd bestehen zu lassen. Außerdem legte der Batterieführer großen Wert darauf, daß der Zug stets komplett war, um gegebenenfalls in kürzester Zeit zu einem anderen Standort verlegt werden zu können.

Als nach der Invasion der Alliierten im Juni 44 in der Normandie (Frankreich) diese Truppen sich der deutschen Grenze näherten bei Trier und Aachen, wurde der Geschützzug Anfang September 44 verlegt und machte Stellungswechsel in die Gegend von Jülich und Eschweiler b. Aachen. Gegen 22 Uhr rief der Batteriechef, ein Oberleutnant, mit dem ich während des langen Aufenthaltes in Buir als Bfs-Vorsteher oft dienstlich zu tun hatte, durch Bahnfernsprecher an und bat mich, seinen Befehlsstand, eine Villa im Wald von Niederbolheim b. Nörvenich, durch Postfernsprecher zu verständigen, daß er seit Stunden versuche, den Chef des Befehlstandes zu erreichen, man möge den Batterieführer in seiner Einsatzstellung anrufen, es sei wichtig. Der Batterieführer sagte mir, die Amis seien in der Gegend von Stolberg, der Geschützzug müsse noch in der gleichen Nacht erneut Stellungswechsel machen, er schlage vor, östlich über Jülich hinaus: „Sonst werden wir vielleicht von den Amis kassiert.“

Nach mehrmaligem Versuch, eine Verbindung mit der Befehlsstelle in Niederbolheim zu erreichen, konnte ich endlich meinen Auftrag erledigen. Uns ist nicht bekannt geworden, was mit dem Geschützzug geschehen ist und ob der Stellungswechsel geklappt hat. Eines Tages im Sept. 44 erfuhren wir auf Bf Buir, daß Panzerspitzen der Amis bis in die Gegend von Langerwehe-Schöntal-Schevenhütte vorgestoßen seien, jedoch wieder zurückgefahren seien in Richtung Stolberg. Wir glaubten nun an ein baldiges Einrücken der Amis. Aber die Rur mit der Möglichkeit einer Überschwemmung des gesamten Raumes Düren-Jülich durch Ablassen des Wassers der Eifeltalsperren, ließ die Amis warten bis Febr. 45.

Als Bfs-Vorsteher von Buir beriet ich mit den Kollegen der Nachbarbahnhöfe im Sept. 44 über die Vernichtung wichtiger Unterlagen, die der Feind nicht erhalten sollte. Daraufhin hatten wir unsere Geheimakten, Bahnhofs-, Stellwerks-, Block- und Schaltpläne sowie Bildfahrpläne und Vorschriften mit Abbildungen der technischen Anlagen verbrannt, damit sie den Amis nicht in die Hände fielen.

Durch eine besondere Anordnung war dies für den Notfall vorgesehen.

Der Bayrische Eisenbahnpionierzug (EPK 13) war inzwischen abtransportiert worden. Es kam eine andere Pionier-Komp., die an den 5 Eisenbahnüberführungen in Richtung Sindorf und an den 3 Wegeübergänge Richtung Düren Vorbereitungen für die späteren Sprengungen machten. Vom Buirer Bahnhofsgebäude bis zum gegenüberliegenden Nachbarhaus wurde eine Panzersperre errichtet. In den Gärten am Bahnhof wurde eine Geschützstellung für 2 Geschütze mit den zugehörigen Schützengräben gebaut. Mitte Febr. 45 sind alle Brücken bzw. Überführungen von unseren Pionieren vor dem Einrücken der Amis gesprengt worden. Von dieser Zeit an war er Bf Horrem Endbahnhof der Strecke Köln-Aachen.

In den Monaten August - September 44 hatten wir fast täglich Fliegeralarm. Am Tage kamen die Jabos (Jagdbomber) regelmäßig gegen 8-10 Uhr. Die Angriffe richteten sich im Tiefflug hauptsächlich auf Bahnstrecken, Bahnanlagen und Züge sowie Nachschubstraßen. So hatten wir auf unserem Bf Buir in einer Woche 5 Loks in Gleis 7 stehen, deren Dampfkessel von Geschossen der Flieger durchlöchert waren und dadurch betriebsunfähig wurden. An einem Sonntagmorgen gegen 9 Uhr wurde ein Personenzug aus Richtung Düren in der Nähe des Einfahrsignals (an der hohen Fließ) von Fliegern beschossen, die Lok war fahruntüchtig, Lokführer und Heizer verletzt, desgl. Einige Reisende, die im vorderen Zugteil saßen. Ärztliche Hilfe war schnell zur Stelle.

Am gleichen Sonntag gegen Mittag wurde ein Militärzug aus Richtung Köln in der Nähe des Bahnhofsgebäudes von Fliegern beschossen. Die Lok war betriebsunfähig, der Dampf zischte aus zahlreichen Einschußlöchern heraus. Die Soldaten des Zuges flüchteten teilweise verletzt in die Gärten und Häuser der Bahnhofsumgebung. Anwohner des Bahnhofs können sich dessen heute noch gut entsinnen.

An demselben Sonntag war am Spätnachmittag erneut Fliegeralarm. Einen um diese Zeit fälligen Personenzug aus Richtung Düren hatten wir vorsichtshalber vor das Einfahrsignal gestellt, weil dort durch die mit Bäumen bewachsene Bahnböschung in etwa Schutz gegen Sicht der Jabos war. Als gegen 18 Uhr weit und breit kein Flugzeug zu hören und sehen war, und auf unsere fernmündliche Erkundigungen bei Nachbarbahnhöfen keine Flieger beobachtet wurden, schickte ich einen Kollegen in die beiden am Bf. befindlichen Splitterschutzräume und in den Fabrikkeller der nahegelegenen Sprit- und Malzfabrik, die gerne von einheimischen Reisenden als Fliegerdeckung aufgesucht wurden, und ließ den wartenden Leuten sagen; in ca. 20 Minuten lassen wir einen Personenzug in Richtung Köln abfahren, der jedoch vorerst bis in die Gegend von Haus Forst fährt, wo rechts und links von der Bahn Wald war, um dort das Ende des Fliegeralarms abzuwarten.

Nachdem der Zug später den Bf in langsamer Fahrt verlassen hatte, kamen aus Richtung vom Wald her 2 Jabos und verfolgten den Zug. In der Nähe des Rittergutes Haus Forst, gegenüber dem Dorf Manheim, wurde der Zug von den Jabos beschossen und bombardiert. Es war m.W. das erste Mal, daß in unserem Bereich Bomben von Jabos auf Züge geworfen wurden. Bei diesem Angriff wurde eine Person getötet, mehrere verletzt, die Lok war umgekippt, der Dampfkessel durchlöchert. Die Aufräumung dauerte die ganze Nacht und mußte am Tage wegen Fliegergefahr abgebrochen werden.

Der Streckenabschnitt bis Blockstelle Blatzheim, 5 km von Buir entfernt, gehörte zum Unfallmeldebereich des Bfs Buir. Als Leiter der Unfallmeldestelle Buir mußte ich bei den Aufräumungsarbeiten zeitweise zugegen sein. Ein am Bf anwesender Offizier brachte mich mit seinem Jeep zur Unfallstelle. Das war ein Sonntag mit drei Unfällen im Kriegsgebiet, die man kaum im Leben vergessen kann.

Die bei uns im Bf abgestellten Schadloks waren oft Ziel der Jabos. Wir baten daher die Zugleitung Köln, die Loks möglichst bald zu einem an der Bf abzufahren, der nicht so sehr gefährdet war wie der Bf Buir. Nach einigen Tagen waren wir sie los und alle atmeten auf. Eine einzelne Lok, die tagsüber bei uns auf dem Bf war, ließen wir an den Güterschuppen mit einem halbüberdachten Gleis fahren, um da von zwei Seiten Fliegerdeckung zu haben. Ab Nov. 44 stand dort ständig ein Waggon mit Vierlingsflak, der an Militärzüge Richtung Köln angehängt wurde und später zum Standort Buir zurückgebracht wurde.

Der Ort Buir hatte in dieser Zeit ebenfalls oft Fliegerbesuch, und allerorts fielen Bomben, wobei mancher Zivilist getötet oder verletzt wurde. Die Kriegsgräber auf unserem Friedhof geben Zeugnis aus dieser Zeit. Am Bahnhof Buir hatten wir auch mehrere Bombeneinschläge, die jedoch keinen größeren Schaden verursachten. Es fielen Bomben neben dem Bahnhofsgebäude, in den Garten der ehemaligen Kreissparkasse, an zwei Stellen in der Ladestraße, eine Bombe fiel neben den Güterschuppen und eine in die Nähe der Kopframpe, an der z.Zt. 3 große Akazienbäume standen. Heute ist nur noch ein Baum vorhanden, der unter Naturschutz steht. Durch die Bäume war die Sicht auf die Kopframpe aus der Luft schwierig, hierdurch blieb die Rampe lange verschont. Im Bahnhofsgelände selbst fielen an verschiedenen Stellen Blindgänger. Unser Betriebsamtvorstand des Betriebsamtes Düren wollte nach einer Blindgängermeldung stets den ungefähren Durchmesser des Einschlags wissen, um sich ein Bild von der Größe der Bombe machen zu können. Dies war für uns eine heikle Angelegenheit, sich in die Nähe der Blindgänger zu begeben.

Bis Sept. 44 hatten wir wöchentlich 1-2 Militärzüge in Buir zu entladen, teils waren es pferdebespannte Abteilungen und Kraftfahrzeuge. Auch wurden hier Anfang bis Mitte Sept. 44 einige Flüchtlingszüge verladen. Es waren vorwiegend die Bewohner jenseits der Rur, die dort täglich mit der Amibesetzung rechneten. Ende Sept. 44 und Okt. 44 schoß die feindliche Artillerie in unser Gebiet. Wir erfuhren zuerst von Granateinschlägen beidem Rittergut haus Forst b. Manheim. Eines Tages hatten die Gleise der Strecke Buir-Sindorf Treffer erhalten und waren unbefahrbar. Im Bf Buir war eine Gruppe Bahnunterhaltungsarbeiter mit Rottenführer stets in Bereitschaft, um Schäden auszubessern. Eine Gruppe russ. Kriegsgefangener mit Wachposten mußten in solchen Fällen helfen, die Schäden in kürzester Frist zu beseitigen. In der Folgezeit kamen die Granateinschläge öfter und näher auf Buir zu. Die Gleise wurden wiederholt getroffen und vorübergehend betriebsunfähig. An vielen Stellen im Dorf schlugen Granaten ein und verursachten teilweise große Schäden. Hierbei kamen eine Anzahl Buirer Bewohner zu Schaden, einige Personen sind tödlich verletzt worden.




Teil 7 - 16.Nov. 1944 - Bombardierung der Städte Düren, Jülich und Euskirchen. Bf Buir als End- später Frontbf., Evakuierung des Dürener Raumes bis zur Eifel.

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