Freitag um 15.45 Uhr: Der „lange Emil“ fällt
Von Heinz H. Naumann




Eine Pioniereinheit sprengt Mechernichs Wahrzeichen
Kölner Stadt-Anzeiger vom 26. Oktober 1961




Kommern-Mechernich (vn) -Die Stunden des "langen Emil“, des 126 Meter hohen Schornsteins der Mechernicher Bleihütte, und seines vierzig Meter kleineren namenlosen Bruders sind gezählt. Eine Pioniereinheit des Bundesgrenzschutzes bereitet seit Anfang dieser Woche, die Sprengung beider Schornsteine vor. Am morgigen Freitag um 15.45 Uhr legt sie die beiden Riesen um. Der Tag der Schornstein-Sprengung geht in, die Geschichte Mechernichs als "schwarzer Freitag" ein. Der Ort verliert mit dem "langen Emil“ ein Wahrzeichen, auf das er genau 77 Jahre stolz war. 1884 wurde der "Iange Emil“ errichtet, um die Abgase der Bleihütte so hoch wie möglich in die Luft zu pusten. Er war mit damals 134 Meter Höhe der zweithöchste Schornstein Deutschlands. Später erhöhte man ihn sogar noch um zwei Meter.

Schon seit geraumer Zeit ist es beschlossene Sache, den "langen Emil" und seinen hundert Meter entfernt stehenden Bruder umzulegen. Emils Brüderchen ist sechseckig und immerhin 82 Meter hoch. Der Bundesgrenzschutz bewarb sich um die Arbeit. Für eine in Hangelar stationierte Pioniereinheit ist die Sprengung eine praktische Übung. Wie sie abläuft, erläuterte Major Arlt am Dienstag dem Mechernicher Bürgermeister, dem Amtsdirektor und den Polizeibeamten zu Füßen der beiden Schornsteinriesen.


Zuerst der kleinere Kamin

Zuerst sprengen die Pioniere den kleineren Schornstein mit Sockel. Kurz darauf fällt der „lange Emil“ schräg über seinen schon am Boden liegenden Bruder. Wie gekreuzte Schwerter sollen die beiden Schornsteine hernach auf den Abzugsschächten liegen, die ihnen einst die Abgase der Bleihütte zuführten. Zahlreiche Pioniere riegeln im Umkreis von fünfhundert Metern das Gelände hermetisch ab. Sie sind mit Funksprechgeräten ausgerüstet und stehen mit dem Befehlsstand im ehemaligen Weberkies-Büro wie auch mit dem Sprengkommando in Verbindung.

Ein Pionier des Bundesgrenzschutzes kehrt von einer Besteigung des „langen Emil“ zurück. Deutlich ist im oberen Teil die Krümmung des Schornsteins sichtbar, die ein Erdbeben vor zehn Jahren verursachte.




Der Kreis in der Zeichnung zeigt die Gefahrenzone der Sprengung, die Pioniere des Bundesgrenzschutzes hermetisch abriegeln. Nur das Sprengkommando hockt innerhalb der Zone sicher in einem Tunnel unter einem hohen Damm der Werksbahn.

Innerhalb des unmittelbaren Gefahrenkreises, der einen Durchmesser von einem Kilometer hat, verbleibt nur noch das Sprengkommando. Es hockt sicher in einem Fußgängertunnel im hohen Damm der Werksbahn und löst dort die Sprengladungen aus. Ein noch bewohntes Haus in der Nähe der Bleihütte und ein Forsthaus, die beide innerhalb des Gefahrenkreises liegen, müssen geräumt werden.

Da beide Schornsteine in hügeligem Gelände stehen, kann die Bevölkerung den Sturz der Riesen weder vom Ort noch aus dem offenen Gebiet des Gewerkschaftsgeländes einwandfrei verfolgen. Ihr wird deshalb empfohlen den Altusknipp, die Barbarakapelle oder die alte Kirche aufzusuchen, von wo man einen freien Blick auf beide Schornsteine hat.

Kein Strom während der Sprengung

Mitten durch den Gefahrenkreis führen eine KEV-Ringleitung, eine Stichleitung nach Bergheim und Vussem und eine Zuleitung zum Forsthaus. Kurz vor der Sprengung wird der Strom aus Sicherheitsgründen abgeschaltet. Bergheim und Vussem sitzen daher eine Weile ohne Strom. Ein Trupp der KEV liegt in Bereitschaft, eventuelle Beschädigungen an Stromleitungen sofort nach der Sprengung zu beheben.

Wie geschieht die Sprengung?

Pioniere haben in den Fuß des kleineren Schornsteins schon Löcher für die Sprengladungen gebohrt. Der Sprengstoff reißt auf einer Seite ein Stück aus dem Fundament heraus. Der Schornstein verliert seinen Halt, neigt sich über der Mauerlücke und schlägt um.




Beim „Langen Emil“ bleibt das Fundament stehen. Es ist mit mehreren Meter dicken Wänden zu gewaltig und zu hoch. Würde man ein Stück heraussprengen, wäre keine Garantie gegeben, daß der Schornstein nach der gewünschten Seite fällt. Die Pioniere setzen daher die Sprengladungen erst oberhalb des Fundamentes in die Schornsteinrundung ein. Sie müssen ein hohes Arbeitsgerüst errichten, um die Löcher zu bohren. Sie entfernen die Eisenbänder, die den Schornstein am Fuß umspannen, damit bei der Sprengung keine Eisensplitter durch die Luft fliegen. Die Sprengladungen kommen am Freitagvormittag ins Mauerwerk. Sie werden elektrisch gezündet.

Die Ziegelwandung des "langen Emil" ist am Fuß zwei Meter dick. Sie verjüngt sich nach oben bis auf zwanzig Zentimeter Stärke. Der Durchmesser des Schornsteins beträgt über dem Sockel sieben Meter.


Sprengung um 45 Minuten verschoben

Die Sprengung war ursprünglich auf 15 Uhr angesetzt. Sie wurde mit Rücksicht auf die Gießerei Dörries in Vussem auf 15.45 Uhr verschoben.

Für Lehrzwecke filmt ein Pionier die Sprengung der Schornsteine. Den Filmtitel hat er auf die Windschutz-scheibe eines Fahrzeuges geklebt, um durch die Scheibe Titel und Schornstein aufzunehmen.




Am gewaltigen Sockel des „langen Emil“ hauen Pioniere ein Gerüst, um die Sprenglöcher und die Sprengladungen in die Schornsteinwand zu bringen.

Da die Starkstromleitung von Mechernich über Bergheim nach Vussem, an der auch die Gießerei hängt, sehr nahe am Schornstein vorbeiläuft, muß aus Sicherheitsgründen der Strom vor der Sprengung abgeschaltet werden.

Bei ursprünglichem Zeitpunkt der Sprengung hätte die Gießerei schon vor 15 Uhr ihren Betrieb stillegen müssen. Sie bat deshalb um 45 Minuten Aufschub, um die Produktion nicht vorzeitig abbrechen zu müssen.

„Eine herrliche Luft und eine himmlische Ruhe herrscht an der Spitze des 126 Meter hohen „Emils“, versichert ein Pionier des Bundesgrenzschutzes, der den Schornstein erklomm. Rund 400 Stiegen mußte er bis zur Spitze steigen. „Gezählt habe ich sie nicht“, schildert er nach dem Abstieg.

„Ich weiß nur, daß der Abstand jeweils dreißig Zentimeter beträgt.“ Mehrmals ruhte er unterwegs aus. Die oberen [...Gerüst?]klemmen sind vom Rost schon stark angefressen und locker. Er prüfte daher erst jede auf Halt, bevor er sie betrat. Es war die letzte Besteigung des „langen Emils“.




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