Sirenen heulen Concordias Sterbelied




Abschied von Carl Brendgens Werk - 5.45 endete letzte Schicht




K i e r d o r f. Über die Erftniederung gellten am Sonntagfrüh gegen 5.45 Uhr die Dampfsirenen der Brikettfabrik „Concordia“ zehn Minuten lang und kündeten mit Anbruch des Morgengrauens das Ende der letzten Schicht an. Mit diesem erbarmungslosen aber auch zugleich feierlichen Signal schob sich der Schlußstrich unter ein stolzes Kapitel bergbaulicher Geschichte Kierdorfs im Ablauf von nahezu sieben Jahrzehnten. Nachdenklich schauten die vom Kohlenstaub geschwärzten Männer von der letzten Sicht zu, wie Räder, Kolben, Pumpen und Pressen langsamer werdend für immer verstummten. Die seit Monaten und Wochen erwartete Stille war eingekehrt.

Das war die Belegschaft der Fabrik „Concordia“



Die letzten Pulsschläge



Es ist 5.30 Uhr. Mit halbem Dampf ächzen Maschinen und Pressen. Träge poltern die letzten Briketts aus den langen Schlangen der Stempel auf das Förderband. Der Pulsschlag eines alten Riesen wird schwächer und schwächer, seine Lebenskraft läßt nach.

Man liest auf einer Brikettserie den Aufdruck „Concordia - 1891 - 1958“, brikettierte Souvenirs eines langen Zeitabschnitts. Viel dieser letzten „Sonderklütten“ werden eingesammelt, verschenkt und erhalten als denkwürdige Zeugen dieses Tages demnächst einen Ehrenplatz in der guten Stube der einstigen großen Familie der Eftbergbau-Gesellschaft.

5.45 Uhr, auf dem Fabrikhof versammeln sich die Belegschafter des Werks, teils im Sonntagsstaat, um in dieser letzten Stunde am vertrauten Arbeitsplatz zu sein. Unter ihnen der unverwüstliche „Außems Jupp“ aus Brüggen, im Kollegenkreise „dr Bataillöner“ genannt, erschienen in der Tracht des „Klüttemanns“ mit Rucksack, Stock und dr lang Pief, in den Händen das gerahmte Erinnerungsbild aus dem Jahre 1910, das ihn mit seinen Kollegen in der Werkstatt zeigt. Das kostbare Konterfei geht von Hand zu Hand und der „Bataillöne“ meint, daß er früher auch gut ausgesehen hätte.






Manchen wurden die Augen feucht

5.50 Uhr, die Dampfsirenen ertönen minutenlang. Die Männer blicken nach oben, wo der weiße Dampf zum letzten Male aus den Rohren strömt. Viele nachdenkliche Gesichter, „das war unser Arbeitsplatz in guten und bösen Zeiten“, hört man hier und dort und manchen von den anwesenden Alten werden die Augen feucht im Erlebnis des erbarmungslosen Augenblicks des sich vor ihren Augen vollziehenden Schicksals. Im Mannschaftsraum spricht Bergwerksdirektor Dr. Hans Kersting zur Belegschaft, der er jahrzehntelang verbunden war. Er führte aus:

Die Rhythmen des werktätigen Lebens einer Fabrik sind verklungen, in welcher der patriarchalische Geist des Gründers Carl Brendgen bis zur letzten Stunde spürbar war. Der Grundton dieses Rhythmus von Werk und Belegschaft habe stets Friede geheißen und das dürfe den letzten Mann an diesem Tag mit Stolz erfüllen.




Alter Geist zum neuen Beginn

Am neuen Arbeitsplatz der Rodder AG erwarte die freiwerdenden Arbeitskräfte die Hand des Willkommens. Im Geist der alten Kameradschaft von „Concordia“ und mit dem Willen zur werktätigen Arbeit dürften für alle die kommenden Jahre nicht schwer sein. Nach dem Grußwort des Betriebsratsvorsitzenden der Rodder AG Plug erhoben alle das Glas zum Wohl und Gelingen des neuen Beginns. Es wurde fröhlich geplaudert und nach Bergmannsart gescherzt, alte Erinnerungen wurden aufgefrischt und Anekdoten und Begebenheiten aus der Zeit des alten Brendgen herzlich belacht.

Betriebs- und Schichtführer scharten sich mit den Männern um die Fotografen und manch heitere Szene wurde im Bilde festgehalten. Abseits des fröhlichen Geschehens aber liegt Concordia bereits still und verlassen. Ihre Feuer verglühn und der Dampf kondensiert in den Kesseln. Manche Blicke werden sich in den kommenden Wochen noch einmal zur Zieselsmaare Höhe richten, wenn Mauern und Schlote stürzen und der Ausverkauf der noch brauchbaren Materie für die Hochöfen im vollen Gange ist. Dann wird ein bewegtes Kapitel des Kierdorfer Geschichtsabschnitts für immer geschrieben sein, das einer fleißigen und strebsamen Gemeinde und ihrer Bürger einmal goldenes Zeitalter bedeutete.

„Außems Jupp“
der letzte „Klüttemann“




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