Kölnische Rundschau vom 20. Juni 1950


Müngstener Brücke - die höchste Europas

An dem Bauwerk über der Wupper nagt der Zahn der Zeit - Zwei Millionen Nieten


Der kleine Ort Müngsten an der Wupper zählt zwar nur wenige Häuser, von denen noch dazu die meisten Ausflugslokale sind, aber er besitzt eine wirkliche Sehenswürdigkeit: die Müngstener Brücke, mit ihren 107 metern die höchste Europas.

Die Müngstener Brücke ist nach dem Zusammenbruch zu einem Schmerzenskind der sorgengeprüften Bundesbahn geworden. Nicht etwa, weil sie im Kriege besonders schwere Schäden davongetragen hätte. Sie ist "nur" an 44 Stellen angekratzt und im vorigen Frühjahr verhältnismäßig schnell geheilt worden. Viel schlimmer dagegen wirkt sich die

Vernachlässigung der Konstruktion

in den letzten zehn Jahren aus. Fünf Millionen Kilogramm Eisen, zusammengehalten von zwei Millionen Nieten, wollen ständig gewartet werden.




Ganz nüchtern gesagt: der Rost nagt an vielen Teilen dieses stolzen Bauwerks als "Zahn der Zeit". Schäbiger, rotbrauner Rost bedroht dieses Wunderwerk, dessen Taufe zum Ausgang des vorigen Jahrhunderts die gesamte zivilisierte Welt, auch dann hätte aufhorchen lassen, wenn der Reisekaiser Wilhelm II. nicht Pate gestanden hätte.

Ein wenig zittern uns beim Herumsteigen auf der Brücke die Knie, das muß man der Wahrheit gemäß sagen, aber wer würde nicht ohne Herzklopfen in 107 Meter Höhe herumturnen? Die Monteure müssen

Stück für Stück

der Müngstener Brücke vom Rost säubern und neu anstreichen. Dann aber treiben sie mit ihren Preßlufthämmern neue Nieten in den Stahl und verdoppeln die zahl. Damit wird nicht nur eine größere Festigkeit der Konstruktion erreicht, sondern gleichzeitig auch die Rostgefahr vermindert. Un noch eines ist erreicht worden: das Geräusch, das die Züge verursachten, wenn sie die Brücke passierten,

das charakteristische Grollen,

konnte bedeutend abgeschwächt werden. man hat einfach die Schienen ausgewechselt, denn die alten Gleise waren nicht mehr glatt und ließen die Räder immer ein wenig "springen". Das ging nicht ohne Lärm ab, der dann in der Stahlkonstruktion aufgefangen und vervielfacht wurde. Man sagt das so leicht: ganz einfach ausgewechselt! Nun, auch das war ein Kunststück, denn jedes Schienenteil ist 150 Meter lang.

Dafür gibt es einen besonderen Grund. Auf der Brücke sind Laschen und Verbindungsstücke fehl am Platz, weil sich bei den beträchtlichen Temperaturschwankungen die Konstruktion ausdehnt oder zusammenzieht. Die Schienen müssen diese Bewegung mitmachen und liegen nun nach Art der Weichen aneinander. Um die Temperaturschwankungen aufzufangen, mußte man das riesige Mittelstück der Müngstener Brücke freibeweglich auf Rollen lagern;

die maximale Dehnungsmöglichkeit,

die aber nur im Sommer erreicht wird, beträgt vierzig Zentimeter. Turmhoch über dem Fluß müssen hier die Männer ihre schwierige Arbeit verrichten, gleichgültig, ob der Regen stürmt oder die Sonne ein Flimmern auf den Stahlteilen bewirkt. Ihr Könen hilft der Bundesbahn, eines der schönsten Bauwerke Deutschlands zu erhalten. Europas höchste Brücke. Nur muß die Bundesbahn für diese nicht besonders wichtige Strecke tief in ihren Beutel greifen, in dem es heutzutage mehr als schmal aussieht.



Foto: Wiegand




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