Kölnische Rundschau vom 28. September 1949

Die alte Mühle in Glessen

Glessen. In verschiedenen Kirchen des Kreises Bergheim werden bei besonderen Anlässen die Namen Verstorbener verlesen. Hierbei hört man Namen, von denen in dem betreffenden Kirchspiel seit Menschengedenken keine Nachkommen mehr existieren.

Im Glessener Namensverzeichnis lesen wir an erster Stelle „Die Adeligen von Braunsfeld“. Das Geschlecht derer von Braunsfeld war auf einer Ritterburg im Walde bei Glessen beheimatet. Eine Viertelstunde vom Dorf entfernt (vor dem Gut „Neuhof“) zeugt heute noch ein Torbogen davon, daß diese Rittersippe hier gewohnt hat. Das Tor trägt ein Wappen, das als das der Braunsfelder gilt. Wehrgang und Schießscharten in dem Torbogen sagen, daß hier ein befestigter Besitz gestanden hat. Von dieser Ritterburg soll auch ein unterirdischer Gang nach der ehemaligen Abtei Brauweiler geführt haben. Die Annahme gewann vor rund 30 Jahren an Glaubwürdigkeit, weil in dieser Gegend ein Landwirt mit seinem Pferd in einem schachtähnlichen Gang einbrach.

Im Erftkreis haben wir einige Mühlen, die entweder zu einem Schloß oder zu einem größeren Bauerngut gehören. So zum Beispiel die Büsdorfer Mühle zum Gut Braschoß und die Mühle in Oberaußem zum Baumannshof. Beide sind Windmühlen und jetzt außer Betrieb. Die Pliesmühle bei Ichendorf gehört zum Schloß Frentz, die Eschermühle ist ein selbständiges Gut und die Mühle in Harff gehört zu den von Mirbachschen Besitzungen auf Schloß Harff.

So hatte auch die Ritterburg bei Glessen eine eigene Mühle, und zwar die noch heute unter der katastermäßigen Eintragung bestehende Braunsfelder Mühle, jetzt Eigentum der Geschwister Fabritius. Daß man es hier mit einer der ältesten Mühlen in weiter Runde zu tun hat, steht außer Zweifel. In der Kirchenchronik von Glessen wird die Braunsfelder Mühle um 1550 erwähnt. In einer weiteren Urkunde ist ausdrücklich die Rede von einer Wassermühle. Lage und Anlage der Glessener Mühle lassen darauf schließen, daß vor 400 Jahren nur hier der beste Platz für ein solches Unternehmen zu finden war. Auf einer Bodenerhöhung vor der Mühle liegt ein Stauweiher, der durch eine Quelle im Walde gespeist wird. Die Vorderfront des Gebäudes ist einstöckig, während die Rückseite, bedingt durch einen Abhang, zwei Stockwerke aufweist. Zu ebener Erde betritt man den Raum, in dem das Getreide auf die Mahlgänge aufgeschüttet wird und der gleichzeitig auch zur Aufbewahrung des Mehles dient. In diesem Geschoß war bis zum Jahre 1935 eine Kammer eingebaut, die in eigenartiger Weise


eine „Chronik“ der Mühle

barg. Ursprünglich war die Braunsfelder Mühle ohne jegliche Nebengebäude. Die erwähnte Kammer diente dem jeweiligen Müllergesellen besser gesagt dem Mahlknecht, als Schlafraum und zum Aufenthalt in der freien Zeit. Wenn ein solcher Mahlknecht den Dienst in der Mühle aufgab, schnitt er in die Kammertür die Jahreszahl seines Ein- und Austritts. War man in der alten Zeit auch gewohnt, daß ein Dienstwechsel erst nach Jahrzehnten erfolgte, so waren doch immer Dutzende von Namen oder vielmehr Zahlen in diese Tür eingeritzt worden, die bis in 17. Jahrhundert zurückführten. Von ganz früher verliefen sich solche Zeichen in Runen, die auch bestimmte Jahreszahlen darstellten.

Eine Stiege führt hinab in den Mahlraum. Hier haben wir ein kellerartiges Gelaß vor uns, das nur halb, infolge der Mahlstühle, durch ein Fenster der Hinterfront erhellt ist. Schwere Eichenbalken, wie für die Ewigkeit geschaffen, tragen die Decke dieses Raumes. Sehr niedrig ist diese Mahlstube, das schwere Holzwerk scheint einen fast zu erdrücken in der Enge dieses Gelasses.

Daß hier aber gutsituierten Bauherren arbeiten ließen, sieht man auf den ersten Blick. Während man heute noch beim Abbruch eines alten Häuschens oft feststellen kann, daß ganz ungefügte Holzstämme, oft noch nicht einmal kantig bearbeitet, verwandt worden waren, sieht man in der Braunsfelder Mühle genau das Gegenteil. Die wuchtigen Balken, etwa 40 mal 40 cm stark, sind nicht nur exakt geschnitten und bearbeitet, sondern obendrein auch noch


mit reicher Schnitzerei

und gleichlaufender Verzierung versehen. Bei dieser Arbeit muß man feststellen, daß hier Kunstsinn mit Zeit und Muße Arm in Arm gegangen sind. Die Zahn- oder Kammräder des Mühlengetriebes waren bis 1900 noch aus Holz. Es wird erzählt, daß man das alte Getriebe sachte behandeln mußte, wollte man nicht, daß es in allen Fugen krachte. Im Jahre 1876 wurden Wohn- und Nebengebäude an die alten Mühle angebaut.

Das Wort vom Wasser in dem alten Müllerlied „Es hat nicht Ruh bei Tag und Nacht“ hatte auch schon vor 400 Jahren seine Richtigkeit. Auch damals konnte das Wasser es kaum erwarten, bis es sich über das Mühlenrad stürzen durfte. Leier war aber der innere Mechanismus der Mahlanlage nicht auf Eiltempo eingestellt. Das uralte Sprichwort „Gottes Mühle mahlt langsam, aber fein“ konnte man auch auf die Mühle in Glessen anwenden. Wollte der Müller etwas verdienen, dann mußte er halt bei Tag und Nacht auf dem Posten sein. Zwischen jedem Klipp-Klapp eines solchen hölzernen Instruments konnte man ruhig das Wörtchen „Geduld“ einschalten, was ja auch sinnbildlich durch den Spruch von der Gottesmühle angedeutet wird. Wenn man bedenkt, daß es der Braunsfelder Mühle noch in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts einfiel, für das Mahlen eines Sack Roggens zwei und oft noch mehr Stunden zu beanspruchen, dann kann man verstehen, wie der Dichter zu dem Satz kam „Bei Tag und Nacht ist der Müller stets wach“.

Erst im Jahre 1910 wurde bei der historischen Mühle in Glessen das alte hölzerne Wasserrad durch ein eisernes ersetzt. Später hat man sich auch den Segen der Elektrizität zunutze gemacht. Wenn nun jetzt der Stauweiher seinen billigen „Betriebsstoff“ bis zur Neige hergegeben hat, was in den Sommermonaten schon mal vorkommen kann, hat unsere Mühle nicht wie in früheren Jahren Feierabend, bis wieder genügend Wasser angelaufen ist. Nein, dann bringt die elektrische Kraft sie auf „Schwung“ und was sie in früheren Jahren zu langsam gelaufen ist, muß sie nun doppelt nachholen. So muß die Mühle es sich heute gefallen lassen auf ihre alten Tage statt langsamer viel flinker zu klappern, allerdings nur bei Tag, denn der Müller ist auch ruhebedürftig.

G.V.

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