Kölnische Rundschau vom 28. Mai 1949

Kreisbähnchen - Anekdoten

Ein schöner Sommerabend senkte sich auf das Erftland. Die angenehme Kühle war ideal für Menschen und Vieh. Die wenigen Fahrgäste, die das Zügelchen von Liblar nach Mödrath benutzten, gaben sich der beschaulichen Ruhe hin. Ihre Gedanken eilten dem keuchenden Bähnchen voraus und weilten schon im trauten Familienkreise.

Plötzlich schreckten die Vorsichhinträumenden auf. Ein Ruck, und der Klüttenpuffer stand still, mitten auf freier Strecke. Großes Erstaunen unter den Reisenden! Kaum, daß man Zeit hatte, über das sonderbare Benehmen des Bähnchens nachzudenken, sah man sich vor ein neues Rätsel gestellt. Der „Feurige Elias“ setzt sich rückwärts in Bewegung und rollte wieder seinem Abgangsort zu. Aber auch dieser Kurswechsel war nicht von langer Dauer. Bremsen kreischten, und der Zug stand. Im Dunkel schritt ein Laternenträgen am Zug vorbei und leuchtete den Boden ab und rief zur Lokomotive hin: „Hier müßte sie eigentlich liegen“.

„Entsetzlich“, schrie jemand im Zuge, „es ist ein Mensch überfahren worden - wie mir scheint, eine Frau -, hieß es doch, hier müsse sie liegen.“ Im Geiste sah man schon, wie eine blutüberströmte Leiche unter den Wagen hervorgezogen wurde ... Als das Zügelchen sich nochmals in Bewegung setzte, schrie ein Fahrgast aufgeregt: „Sind die Kerle denn ganz von Gott verlassen? Womöglich fahren sie nochmals über das bedauernswerte Geschöpf!“ Der Mann war aber mit seiner Befürchtung noch nicht zu Ende, als das Bähnchen schon wieder stand. Aus den Fenstern fragte man, was diese Kutschiererei bedeutete. „Still, Mann, davon versteht ihr nichts!“ war die Antwort aus dem Dunkel. Aus dem Packwagen aber hörte man Gelächter.

Auf einmal rief es aus dem Dunkel: „Hier ist sie.“ Die Fahrgäste waren aufs Schrecklichste gefaßt. Für Augenblicke herrschte beklemmendes Schweigen, das dann durch eine Lachsalve abgelöst wurde. Im Scheine der Laterne war zu sehen, wie der Heizer an Stelle einer zerstückelten Leiche die Kohlenschaufel zwischen den Gleisen aufhob. Ein Pfiff, und lustig püfferte „das Fuhrwerk auf Schienen“ Mödrath zu.

Georg Vetten (Kenten).

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