Kölnische Rundschau vom 20. Oktober 1949

Rheinische Braunkohle vor dem Tiefbau

Von Dr. Magda Menzerath

Drei Entwicklungslinien bestimmen zur Zeit das Geschehen im Rheinischen Braunkohlenbergbau. Zwei Drittel der deutschen Braunkohlenförderung vollziehen sich hinter dem Eisernen Vorhang. Mit rund 80 % des westdeutschen Abbaus liegt das rheinische Gebiet an der Spitze; es trägt damit die Hauptlast und die Verantwortung für die Bewältigung der wachsenden Versorgungsansprüche. Das rheinische Braunkohlengebiet ist seit Beginn der industriellen Aufschließung in einer naturgegebenen Bewegung von Süden nach Norden. Die Jahre nach dem Krieg dadurch gekennzeichnet, daß der Zeitpunkt des völligen Auskohlens der längs und südlich der Luxemburger Straße gelegenen Gruben inzwischen gegeben ist oder kurz bevorsteht, so daß nicht nur für die verlorengegangenen ostdeutschen Gebiete Ersatz geschaffen werden muß, sondern auch für die ausfallenden aus dem eigenen Bezirk. Das erfordert den planvollen und beschleunigten Ausbau des nördlichen Tagebau-Reviers, gibt aber auch den Bestrebungen, den Braunkohlentiefbau einzuleiten, verstärktes Gewicht. Damit ist die dritte Entwicklungstendenz angedeutet.

Ziel des Tiefbaues: Produktionssteigerung

Die Nachkriegssituation beendet eindeutig die Jugendzeit üppigen Emporschießens, die den rheinischen Braunkohlentagebau zu einer der am meisten beneideten Industrien machte. Kennzeichnend für ihn war stets, daß er in ganz besonderem Maße technisiert und rationalisiert war. Dies verband sich mit besonders günstigen Naturverhältnissen, die heute nicht mehr im gleichen Maße zutreffen, so daß obwohl die Technisierung fortlaufend vorangeschritten ist, die erzielten wirtschaftlichen Ergebnisse noch nicht wieder die Zahlen von 1938 und 1943 erreicht haben. Der sich nach Norden vorschiebende Abbau vollzieht sich unter immer ungünstigeren geologisch-tektonischen Verhältnissen. Die Deckgebirge werden mächtiger, die tiefer liegenden und stärkeren Flöze stellen größere Anforderungen an die Wasserwirtschaft. Die Rekultivierung beansprucht einen steigenden Anteil des Produktionsgewinns, nicht zuletzt, weil auf diesem Gebiet auch manches nachzuholen ist. Die notwendigen Betriebsverlagerungen erfordern hohe Beträge. Die Summen, die für die in Gemeinschaftsaufgabe übernommene Aufschließung des Tiefbaus aufgewandt werden müssen, sind beträchtlich. Die Kostenlage des Tiefbaus ist heute noch gar nicht zu übersehen bis auf die Vermutung, daß es gewiß teurer sein wird als der Tagebau. Allein bis zum Jahre 1953 benötigt der Rheinische Braunkohlenbergbau für Investitionen rund 600 Mill. RM, um das vorgesehene Programm, das auf diesen drei Entwicklungslinien aufgebaut ist, durchführen zu können. Ein sogenannte Sechzehn-Jahresplan, der inzwischen ergänzt und erweitert wurde, sieht vor, die Rohkohlenförderung um 29 % auf 78 Mill. Jahrestonnen und die Briketterzeugung um 4 % auf 13 Mill. Jahrestonnen zu steigern sowie die nutzbare Stromabgabe von 5 Milliarden Kilowattstunden um 150 % auf 13 Milliarden Kilowattstunden zu erhöhen. So wie die Dinge heute im Braunkohlenbergbau liegen, steigt der Anteil der Kapitalkosten an den Produktionskosten immer mehr, macht damit den Gesamtbetrieb damit krisenermpfindlicher und verlangt voll und kontinuierliche Ausnutzung der Anlagen, da erst ein über 80 % hinausgehender Beschäftigungsgrad die Produktion tragen kann.

Briketts und Strom

Die Tagesleistung des Spitzenjahres 1943 wurde mit etwa 220.000 t Rohkohle inzwischen wieder erfüllt. Auch die Briketterzeugung hat ihren alten Produktionsstand in allerdings z.T. ganz neuen Anlagen erreicht. Das Werk Fortuna I., das im Krieg erstellt wurde, und Werk Fortuna II, das vor einem Jahr fertig wurde, produzieren allein täglich 4.000 t Briketts. Diese beiden hochmodernen Werke vereinigen in sich die Erfahrungen des gesamten Reviers, ja der deutschen Braunkohlenverarbeitung überhaupt. Sechzehn Zwillingspressen in Fortuna I, ganz neue Vierlingspressen in Fortuna II, nicht mehr Dampf-, sondern elektrische Pressen, schufen einen durchschlagenden Erfolg. Rechnet man bisher für eine Tonne Briketts 3,25 Tonnen Rohkohle, so kommt man in Fortuna mit 2,8 Tonnen Einsatzkohle aus. Dieses Werk wurde wie auch das dazugehörige Kraftwerk genau nach Plan, der alle Erfahrungen zusammenfaßte und abstimmte, errichtet. Damit ist es allen anderen, die sich im Laufe der Zeit durch Um- und Anbauten entwickelten, überlegen. Hervorragende Rationalisierungsergebnisse erzielte man auch im Werk Wachtberg, das eine Tagesproduktion von über 2.000 Tonnen erzielt und ebenfalls gleichzeitig Kraftstrom für die Stromversorgung abgibt. Tendenz im Revier ist, alle Brikettfabriken mit Kraftwerken zu verbinden, um den hochgespannten Dampf auszunutzen und mit dem Prinzip der Vorschaltanlage bei der Herstellung von Briketts für die Stromerzeugung das äußerste auch für das öffentliche Netz herauszuholen. Die Errichtung einer zweiten Vorschaltanlage in Knapsack ist bekannt.

Im Grubenbereich, wo die Bewältigung der Massen nach wie vor das erste und das letzte Problem ist, hat man in den letzten Jahren vor allem der Entwicklung der Absetzer Aufmerksamkeit geschenkt. Während des Krieges begann man mit der Anwendung, um dem Bagger ein gleichwertiges Gerät für die Wiederauffüllung der Gruben gegenüberzustellen. Über kleinere Ausleger von 30 bis 40 Meter Länge kam man in den Nachkriegsjahren zu solchen von 70 Metern, deren einer bei der Roddergrube arbeitet und ein weiterer demnächst bei der Fortunakippe aufgestellt wird. Erwähnt mag werden, daß heute nirgendwo mehr Gleis von Hand, sondern ausschließlich durch die Gleisrückmaschine verlegt wird.

17 Mrd. Tonnen Tiefkohle

Die grundlegende Aufgabe, die dem Revier heute gestellt ist, wurde schon angedeutet. Wir meinen die Aufschließung des Tiefbaus, durch den man zwischen den bisherigen Revieren rechts und links der Erft 17 Milliarden Tonnen Tiefkohle mit einer erhöhten Kalorienzahl von 2.400 gemutet hat. Die unbeirrbare Vorarbeit von Dr. Dr. Schmitz verdient hierbei starke Beachtung. Das auf der Linie Kerpen - Bergheim - Bedburg mehr als 500 Meter abgesunkene Flöz mit Mächtigkeiten von über hundert Metern steigt nach Süden, Westen und Nordwesten langsam wieder an, während seine Mächtigkeit in den Randzonen längs der Eifel und der holländischen Grenze sowie im Gebiet von München-Gladbach auf wenige Meter absinkt. Die in rund vierhundert Meter geführten Versuchsschächte, den 1942 begonnenen Honigmann-Schacht mit 54 Meter Kohle, und den 1943 begonnenen und noch in Ausführung begriffenen Gefrierschacht mit 60 Meter Kohle bei Morschenich, Kreis Düren, sollen die Zukunft des Reviers sichern. Nachdem die Vorbedingungen für den Gefrierschacht gegeben waren, nahmen die Arbeiten einen durchaus programmgemäßen Verlauf. Die angesetzten Fristen wurden in der letzten Zeit sogar unterboten.

Mit der Inangriffnahme des Tiefbaus wird die Förderung im rheinischen Braunkohlenrevier tatsächlich Bergbau, und der Arbeiter Bergmann. Wenn nicht von vornherein anzunehmen wäre, daß auch der Braunkohlentiefbau besonders technisiert sein wird, müßten dadurch bei der Natur des rheinischen Arbeiters nicht geringe

arbeitspsychologische Probleme

entstehen. Bei ungewöhnlichen Betriebslösungen, die im Tiefbau zu erwarten sind, begrüßt man baldige Lösungen, damit die Planung verantwortungsbewußt aufgezogen werden kann. Die Anforderungen an das Revier machen die Ausdehnung auf die Tiefkohle in nicht allzuvielen Jahren notwendig. Nützlich macht sie sich heute schon bei der ausgekohlten Grube Donatus, die durch Schrägstollen abgesunkene Flözteile erschließt. Die Brikettierung des kalorienreicheren Tiefprodukts verlangt weniger Rohkohle.

Die dargelegte Situation macht verständlich, daß heute bei etwa gleichen Produktionsergebnissen trotz steigender Rationalisierung rund 25 % mehr Menschen als im Spitzenjahr 1943 im rheinischen Braunkohlenbau beschäftigt sind. Ihr Durchschnittsalter beträgt 39 Jahre. Dies macht begreiflich, daß man der rechtzeitigen Heranbildung eines fachkundigen Nachwuchses große Aufmerksamkeit widmet.

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