Kölnische Rundschau vom 16. Juli 1949

Achtzig Jahre Gesellenverein Kerpen

Aus der Geschichte der Gründerzeit - Adolf Kolping und die soziale Frage

Kerpen. Das kleine Städtchen, an der Erft und dem Neffelbach gelegen, kann in diesen Tagen ein vaterstädtisches Fest eigener Art begehen. In seinen Mauern wurde am 8. Dezember 1813 der Gesellenvater Adolf Kolping geboren. Als einer der bedeutendsten katholischen Volkserzieher schuf er die Gesellenvereine, die als Organe eines sozialen Aufbaues heute in der ganzen Welt verbreitet sind.

Kaum ist die Hundertjahrfeier des großen Kölner Brudervereins verrauscht, da rüstet sich auch die Geburtsstadt Kerpen zum achtzigjährigen Bestehen ihres Vereins. Zweihundert junge Menschen, so weist das erste Protokoll auf, saßen am 17. Jan. 1869 im Saale Klosterhalfen auf der Hauptstraße, heute Ferdinand Tesch. Sie waren begeistert von den Ideen Adolf Kolpings. Oberpfarrer Saenger war es gewesen, der zu diesem Zusammenschluß aufgerufen hatte. In seinen einleitenden Worten legte er die Bedeutung der Gründung dar und betonte, daß es sich hier nicht um einen kirchlichen, sondern um einen katholischen Verein handele. Mit der Führung dieser Gemeinschaft wurde dann Kaplan Ermter beauftragt. Ihm standen als Mitarbeiter zur Seite ein Bruder des Gesellenvaters, ferner die Jungmänner Esser, Fischer, Mausbach, E. Schmoll und R. Mausbach. Der Vorstand fand später eine Erweiterung und Ergänzung durch Lehrer Meuser als Vizepräses, Gymnasiallehrer Büscher als Schriftführer und Rektor Dr. Kaemper als Rendant. Die ersten Einnahmen sind im Kassenbuch vermerkt mit 48 Thalern, 7 Silbergroschen und 6 Pfennigen.

1872 erhielt der Gesellenverein den Kapitelsaal neben der Stiftskirche als neuen Versammlungsraum zugewiesen. Schon damals war man sich klar darüber, daß Kerpen als Geburtsstadt

ein eigenes Gesellenhaus

haben müsse. Rundschreiben in Gestalt von Bausteinen gingen durch die Lande. Der Erfolg war so groß, daß 3065 Thaler, 14 Silbergroschen und 4 Pfennige eingingen. Die Generalversammlung im Januar 1874 beschloß den Erwerb des Notar Schifferschen Hauses auf der Hauptstraße. Bis zum heutigen Tage dient dieses Gebäude dem Verein als Heim. Schon damals konnten die oberen Mansardenstübchen als Schlafräume für durchreisende und wandernde Gesellen benutzt werden. Der große Saal kam in der Kulturkampfzeit zustande. Einsichtige Männer waren schon damals von dem Gedanken ausgegangen, diesen Raum im gegebenen Falle als Notkirche zu benutzen. Gottlob ist es nicht so weit gekommen. Erst der zweite Weltkrieg hat die Pfarrgemeinde durch die völlige Vernichtung der schönen Stiftskirche bewogen,

das Behelfsgotteshaus

einzurichten, wo sich heute die Katholiken Kerpens zum alljährlichen Opfermahl zusammenfinden. Am 24. Oktober 1896 feierte der Verein das Fest seiner Fahnenweihe. Aloys Kolping, ein Neffe des Gesellenvaters, hatte die Ehre, das Banner bei der kirchlichen Feier zu tragen. Es wurde 44 Jahre bei freudigen und traurigen Anlässen mitgenommen. Erst 1913, anläßlich des hundertsten Geburtstages von Kolping, weihte der damalige Generalpräses Msgr. Schweitzer eine neue Fahne.

Ein besonderer Freudentag für Kerpen war im August 1929 die Einweihung des umgebauten Gesellenheimes. Mit dieser Fertigstellung wurde dem Zentralverband eine ideale

Schulungs- und Kursusstätte

übergeben, das erste Heim dieser Art in Deutschland überhaupt. Außer den Vertretern aus dem weiten Raum unseres Vaterlandes waren hier wandernde Gesellen aus der Schweiz, Österreichs, Ungarn, Holland, Belgien sowie zahlreiche katholische Jugendführer anderer katholischer Jugendverbände aus dem In- und Ausland. Das Haus umfaßt im Parterre außer den Wirtschafts- und Restaurationsräumen ein Bibliothek-, Lese- und Schreibzimmer. Im Obergeschoß lag an der Hofseite der große Lehrraum, der mit einem Vorstandszimmer verbunden war. Straßenwärts befand sich das Gesellschaftszimmer, das für den Aufenthalt des Kursisten und für Zusammenkünfte der Kerpener Gesellen diente. Im großen luftigen Schlafraum mit acht Betten und eingebautem Brausebad fanden durchwandernde Kolpingsbrüder Unterkunft und Erholung. Im zweiten Obergeschoß lagen weitere drei Schlafräume mit dazwischenliegenden Einzelzimmern, Brausebäder, Wascheinrichtungen und Toiletten.

In diesem Haus versammelten sich das ganze Jahr hindurch Kolpings treue Söhne zu ernsten Beratungen. Es war ein ständiges Kommen und Gehen aus allen Teilen des Vaterlandes. Allzu gerne denken die Bewohner des Städtchens an diese Zeit zurück, wenn die Jugend hier ihre frohen Lieder erschallen ließ. Und heute hegen sie die stille Hoffnung, daß auch diese Tage recht bald wiederkehren mögen. Im letzten Kriege hat Kerpen und sein Kolpingswerk schwere Wunden davongetragen. Dadurch sind die idealen Einrichtungen seit einer Reihe von Jahren ihrer eigentlichen Bestimmung entzogen worden. So hatte man gar zwangsweise ein Wehrertüchtigungslager der Hitlerjugend hier eingerichtet. Nach dem Zusammenbruch wurden Haus und Räume in einem trostlosen Zustand vorgefunden. In den einigermaßen hergerichteten Zimmern und Sälen hat nunmehr die Kath. Volksschule, weil ihre Erziehungsstätte vollkommen zerstört wurde, eine notdürftige Unterkunft gefunden. Die Verwaltung des Kolpingwerkes hofft aber, daß bis Herbst dieses Jahres die Rückverlegung vorgenommen werden kann, um dann endlich wieder das Haus dem Verband für seine Zwecke nutzbar manchen zu können. Nicht verschwiegen werden darf an dieser Stelle, daß das Kolpingwerk in den Jahren des Dritten Reiches häufig genug schwere Stunden hat durchkosten müssen. Verschiedentlich drangen SA-Horden und Parteiangehörige in das haus ein, wo die anwesenden Lehrgangsteilnehmer häufig belästigt wurden. Ein besonderes Wort der Anerkennung gebührt hier dem ehemaligen Amtsbürgermeister Greifenberg, der sich mit seinen Polizeiorganen stets schützend vor das Kolpingswerk mit seinen Einrichtungen gestellt hat und dadurch viel Unheil abwenden oder mildern konnte.

Im Laufe seines achtzigjährigen Bestehens hat der Kerpener Gesellenverein

häufig hohe Besuche

zu verzeichnen gehabt. So finden wir im Gästebuch: 2. 5. 1872 Erzbischof Paulus Melchers; 4. 8. 1893 Bischof Schumacher aus Ecuador, einen Sohn der Stadt; 21. 9. 1893 Kardinal und Erzbischof Philippus Krementz. 1894 wurde in Anwesenheit des Generalpräses das Silberjubiläum des Vereins begangen. 1898 weilte Kardinal Antonius Fischer im Gesellenhaus. Als Ehrenpräsides sind im Protokollbuch eingetragen: Oberpfarrer Sänger 1869-89, Oberpfarrer Halin 1889-1912, Oberpfarrer Dr. Wehrhahn 1912-1934, Oberpfarrer Esser von 1934 bis heute. Dagegen ist die Zahl der Präsides weit größer. Wir finden als ersten Kaplan Ermter von 1869-88, Kaplan Goertz 1888 bis 1891, Kaplan Dr. Breidenbend 1891-97, Kaplan Buchard 1897-98, Kaplan Schummers 1899, Kaplan von Lutzenberger 1899-1902, Kaplan Lemmen 1902-04, Kaplan Körfer 1904 bis 1906, Kaplan Grain 1907 bis 1911, Kaplan Küppers 1911-19, Kaplan Classen 1919-22, Kaplan Schinker 1922-45, Kaplan Rötten 1925 bis 28, Kaplan von Krafft 1928-31, Kaplan Königs 1931-34, Kaplan Brand 1934-36, Kaplan Thelen 1936-48 und Kaplan Annas seit Juli 1948.

Als Adolf Kolping vor hundert Jahren den Kölner Gesellenverein gründete, sprach Karl Marx im Gürzenich in einer radikaldemokratischen Versammlung. Ob er von dieser Versammlung. Ob er von dieser Versammlung gewußt hat, wissen wir nicht, aber das Werk, das Kolping in der Kolumbaschule an jenem Maiensonntag schuf, stand in einem bewußten

Gegensatz zum Sozialismus

Wenn Kolping auch erkannte, daß durch die Trennung von Meister und Gesellen und durch die industrielle Entwicklung sich eine neue soziale Schicht bildete, so war er doch weit davon entfernt, in der neuen sozialen Gruppe eine Klasse zu erblicken, die dazu berufen sei, im rücksichtslosen Klassenkampf eine neue Gesellschaftsordnung zu errichten, deren Grundlage die Diktatur des Proletariats ein sollte. Auch er wußte, daß eine andere neue Gesellschaftsordnung als die vergangene aufgebaut werden müßte. Aber die Grundlage der neuen Ordnung sollte die berufliche Solidarität sein, die Gruppe der Meister und Gesellen, der Fabrikanten und Arbeiter in der Einheit des gemeinsamen Werkes.

Die nun hundertjährige religiös-soziale Erziehungsarbeit der Gesellenvereine war nicht vergeblich. Sie bildete in diesem Jahrhundert einen christlichen und sozialen Wall gegen die atheistischen und kommunistischen Ziele. Adolf Kolpings Wirken ist noch nicht zu Ende, denn der Kampf zwischen einer atheistischen kommunistischen Welt mit kollektivistischen Massenerscheinungen und einer christlich-solidarischen Sozialverfassung, die die Freiheit der Person und die Eigenständigkeit der Gemeinschaften zum Ziele hat, ist heute ins entscheidende Stadium getreten. Im Zeichen dieses Gegensatzes hat Kolping, dieser große Sohn des Erftlandes, seine sozialerzieherische Mission begonnen. Darum ist auch die Mission der Kolpingsfamilie heute so notwendig. Was wir brauchen, sind ehrliche, christliche Gesellen und Arbeiter, die in Familie, Beruf und Volk tüchtig sind, aber noch viel mehr brauchen wir christliche Meister und Unternehmer, die bereit sind, im Geiste solidarischer Verbundenheit gemeinsam mit den Arbeitnehmern eine neue Sozialverfassung zu schaffen.

Das Programm des Festtages

Die Drangsale der zurückliegenden und noch bevorstehenden schweren Zeit haben die Leitung der Kolpingsfamilie bewogen, von einem allzugroßen Festgepräge abzusehen. Wenn auch der eigentliche Gründungstag im Januar war, so ist mit Bedacht die achtzigjährige Jubelfeier in die Sommerzeit verlegt worden, um recht vielen Freunden der Kolpingsbewegung und der Kath. Jugend Gelegenheit zu geben, das Fest inmitten der Kerpener Bürgerschaft zu feiern, die mit besonderem Stolz auf ihren großen Landsmann blickt. So sind denn vorgesehen:

Samstag, 16. Juli:
Geschlossene Feier im Kolpingswerk, 20 Uhr. Ein ernster und heiterer Rückblick auf die verflossenen Jahre. Teilnahmeberechtigt sind nur Mitglieder und Ehrenmitglieder sowie auswärtige und geladene Gäste.

Sonntag, 17. Juli:
9.30 Uhr feierliches Levitenamt mit Predigt des Generalpräses Dr. Ridder. 10.30 Uhr Kundgebung im Gesellenhaus mit Ansprache eines alten Kolpingssohnes, Landrat Heinrich Beck aus Hünfeld (b. Fulda). Damit verbunden ist die Jubilarehrung. Nach dem Mittagessen gegen 14 Uhr zieht die Festgemeinschaft zum Geburtshaus Kolpings, wo in einer Feierstunde Generalsekretär Dr. Wothe sprechen wird. Bei guter Witterung schließt sich ein Gang durch die Felder zum Lindenkreuz an. 17 Uhr Festaufführung: „Das Überlinger Münsterspiel“ auf dem Ehrenfriedhof. Anschließend gemütliches Beisammensein im Kolpingwerk.

Montag, 18. Juli
9 Uhr Gedächtnisamt für alle verstorbenen und gefallenen Mitglieder der Kolpingsfamilie.

M.S.

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