Kölnische Rundschau vom 11. Oktober 1949

Erlebnisse eines alten Landbriefträgers

Köstliche Stunden erlebte man, wenn vor etwa 20 Jahren der damals 86jährige ehemalige Landpostbote von seinen Dienstgängen erzählte. Zu seinem Bestellbezirk gehörte ein großes Stück des Erftlandes. Fünf bis sechs Dörfer und dazu noch verschiedene abgelegene Gutshöfe wurden von dem Beamten täglich besucht. Die fragliche Gegend war damals verhältnismäßig schwach bevölkert. In den Dörfern lebten noch viele, die des Schreibens unkundig waren und solche, die außer dem Namen keine zehn Worte zu Papier bringen konnten. Bei solchen Familien brauchte er nicht allzuoft einzukehren.

Immerhin häuften sich die Postsachen für eine Reihe Ortschaften doch ziemlich an. Oft genug war das kleine Handwägelchen des Postboten gut mit Päckchen und dergleichen beladen. Das Tagewerk des Landbriefträgers war nicht auf Stunden zu berechnen, denn er war nicht nur Postbote, sondern auch ein stets willkommener Erzähler der Neuigkeiten, kam er doch jeden Tag ins Kreisstädtchen, wo zweimal in der Woche eine Zeitung gedruckt wurde ...

Der Postbote erleichterte sich eines Tages den Dienst, indem er das Wägelchen von einem Hund ziehen ließ, der ein kluges und stolzes Tier war. Als der Postbote zum ersten Male mit seinem vierbeinigen Begleiter im Bestellbezirk erschien, war alles voll des Lobes über die gute Abrichtung des Tieres. Am meisten zeigte ein Quadrather Wirt Interesse für den scheifwedelnden Posthelfer. Natürlich konnte er sich doch rühmen, seinen „Hasso“ selbst abgerichtet zu haben. Er machte dem Wirt auch klar, daß sein Begleiter ihm nebenbei Schutz gegen Strauchdiebe und sonstiges lichtscheues Gesindel gebe. „Ich brauch' bloß zu sagen: Hasso Faß! Und ...“ weiter kam der Beamte mit seiner Information nicht, denn der treue Gesell hatte schon des Wirtes Joppe auf ihre Reißfestigkeit untersucht; der Briefträger hatte Mühe und Not, sie zu trennen. Hasso gehorchte eben aufs Wort.

Wenige Zeit später konnte unser Briefträger wieder feststellen, daß sein Hasso aufs Wort gehorchte. Friedlich zogen beide des Weges auf Paffendorf zu. Ein Adressat erhielt eine Sendung Wein, die der Hund zog. Man war hinter Bergheimerdorf in Höhe des Gutes Bohlendorf. In Richtung der Erft zeigend sagte der Postbote kaum hörbar: „Hasso, Häschen“. Das war Musik in den Horchlappen des Hundes. Schon hatte er die Straße hinter sich und Hals über Kopf ging's mit dem Paket-Wägelchen die Böschung hinab ins Feld. Das Ergebnis dieser Jagd war: Geschirr zerrissen, Wägelchen in Trümmer und ja, das war das Schlimmste: Eine Anzahl Flaschen waren leer, der edle Rebensaft tränkte die Blumen an der Straßenböschung. Als nun der Briefträger in der ersten Wut seinen treuen Begleiter das Fell gerben wollte, hatte er Mühe und Not, einem gleichen Schicksal zu entgehen wie der Wirt.

Kurz nach dem Auszug aus dem Städtchen kehrte der Postbote an diesem Morgen wieder zurück. Die Reste des feuchten Postgutes trug er unterm Arm. Seinen Hund würdigte er keines Blickes, wohlweislich folgte dieser seinem Herrn in gewissem Abstand. Das arme Tier wurde wegen seines übergroßen Eifers als „untauglich“ aus dem Postdienst entlassen.

„Wenn Trübsal einkehrt, nicht verzag ...“ Auch für Hasso kamen „wieder bessere Tage“. Als der Briefträger einige Zeit nach der fraglichen „Hasenjagd“ in die Küche des alleinliegenden Gutes Holtrop kam, um dort Geld einzulösen, saß dort ein „fahrender Gesell“ bei einem Imbiß. Der Postbote erhielt natürlich auch eine kleine Stärkung, derweilen sich der Handwerksbursche mit Dankeswort bei der guten Bäuerin verabschiedete. Ein wenig später machte sich auch der Briefträger auf den Weg nach Auenheim. An einer mit Gestrüpp bewachsenen Wegstrecke war, wie von ungefähr, auch der Fechtbruder wieder zur Stelle. Er bat den Postmann um Feuer. „Ich rauche nicht“, war die abweisende Antwort. Daraufhin meinte der Landstreicher höhnend: „Du kannst mir aber sicher Geld wechseln“. Dieser Satz war aber noch nicht ganz gesprochen, da setzte auch schon ein Hagel Stockschläge auf das Haupt des Fragenden ein. Unser Beamter war schon beim „wechseln“ und der Wegelagerer suchte, als in der Ferne auch noch eine Person auftauchte, sein Heil in der Flucht zu einem nahen Roggenfeld hin. „Das wäre ein Fall für meinen Hasso gewesen“, dachte der Briefträger, und am anderen Morgen erhielt das verkannte Tier wieder ein „Pöstchen bei der Post“.

G.V.

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