Kölnische Rundschau vom 7. Okt. 1948

Betriebsgeheimnisse eines Bahnhofs

Dreißig Minuten hinter der Sperre - Das „Gehirn“ der Weichenstellung

Der Personenzug rollt mit fauchender Lokomotive in den Bahnhof. Die Türen springen auf. Menschen steigen ein und aus. Im Strudel dieses Gedränges steht ruhig und besonnen ein einziger Mann, der allen auffällt, der Mann mit der roten Mütze. Bald klappen die Türen wieder zu. Nun hebt der Aufsichtsbeamte den Befehlsstab. Der Lokomotivführer gehorcht, der Zug fährt ab. Noch ein kurzer Blick auf die Schlußsignale, dann ist die zurückgelegte Strecke wieder frei für einen neuen Zug.

So geht es Stunde um Stunde, Tag für Tag. Hinter dieser majestätischen Äußerlichkeit des Winkeraufhebens steht aber ein großer, unsichtbarer Innendienst. Dessen Hauptglied ist der Weichensteller, der hoch oben in einem Stellwerk horstet. Ihm zur Seite steht eine Front von Hebeln für die Weichen und Signale. An einem Tisch macht ein Morseapparat Geräusch. Es ist die telegrafische Meldung über den Zug, der soeben die Station verlassen hat. Die Meldungen sind maßgebend für die Betätigung der vielen Heben. In der Hand des Weichenstellers liegt das Reiseglück Tausender Menschen. Eine falsche Hebelstellung fährt Maschine, Zug und Menschen neben die Gleise ins Grab.

Der Weichensteller hat das Bild des Bahnhofes und der Fahrstrecken schematisch im Gedächtnis. Er kann die Wirkung seiner Griffe nicht sehen, besonders, wenn es dunkel ist, wenn es neblig ist oder wenn Weiche und Signal weit entfernt liegen. Der Weichensteller muß sich wie der Flieger auf sein Flugzeug

blind auf das technische System verlassen.

Die Zugmeldung ist darum für jeden im Fahrdienst Beschäftigten eine heilige Sache. Auf kleinen Bahnhöfen sorgt der Fahrdienstleiter, auf mittleren Bahnhöfen seine Hilfskraft, der Aufsichtsbeamte dafür, daß jeder Zug in eine Liste eingetragen wird. Diese Buchführung ist aber für den Weichensteller die Sicherheitsgarantie.

Diese gewissenhafte Zusammenarbeit gilt auch für den Güterverkehr. Hier spielt der Man mit der roten Mütze nicht mehr den Herrscher, sondern den bescheidenen Diener. Er kontrolliert sämtliche Weichen und Signale, er prüft die Kupplungen, Wagenverschlüsse und Plomben. Er meldet Betriebsschäden aller Art und ist die ungewollte Polizei der Technik. Er hat keinen Achtstundentag, sondern meist die Sechsundfünfzig-Stunden-Woche. Dank dieser ununterbrochen Aufmerksamkeit gibt es im Bahnhof keinen einzigen Unfall, auch wenn tagtäglich zehntausend Menschen aus- und einsteigen oder Hunderte Waggons rangiert werden. In Zeiten der Rübenernte, wenn in der benachbarten Zuckerfabrik die Kampagne durchgeführt wird, gibt es besonders viel Warenumschlag und Güterverkehr. Eine heute sehr willkommene Gabe für die Güterkasse.

Die Reichsbahn wirbt - Neue Züge in Sicht!

Seit der Währungsreform haben sich auf der Reichsbahn Wunder vollzogen. Die Zahl der Diebstähle ist auf Null gesunken. Sonst kam jede Sendung beschädigt oder beraubt an. Mit den Diebstählen ist auch der Hamsterer verschwunden. Für Geld kann er in der Stadt alles haben und warum soll er Säcke schleppen und teures Fahrgeld ausgeben? Das hat natürlich auch zu einem starken Verkehrsrückgang geführt. In Rundschreiben haben die Direktionen ihr Personal darüber belehrt, daß Höflichkeit die billigste Verkehrswerbung ist. Zurzeit verstehen es darum viele Eisenbahner sehr geschickt, eine Fahrt einzufädeln und Geld in die Kassen zu zaubern. Gleichzeitig verlangt die Direktion auf jedem Bahnhof größte Sauberkeit und Ordnung. Halle, Aborte, Bahnsteige sollen zu keinen Klagen mehr Anlaß geben. Kriegsschäden sollen schnellstens beseitigt werden. Darüber hinaus wird von jedem Bahnbeamten ein Höchstmaß an Pünktlichkeit und Genauigkeit gefordert.

Auf einzelnen Strecken im Kreise Bergheim gibt es tagsüber große Verkehrspausen. Z.B. von ½ 9 bis 13 ½ Uhr kann man von Bergheim nicht nach Rommerskirchen, von 8 bis 13 Uhr von Bedburg nicht nach Bergheim - Horrem kommen. Umgekehrt ist es genau so. Für andere Strecken könnte man diese Beispiele wiederholen. Auf der Strecke Bedburg - Ameln - Jülich verkehren die Züge buchstäblich nur „am Tage“, nämlich bei Sonnenlicht. Um 17 Uhr fährt der letzte Zug von Ameln nach Bedburg, um 18 Uhr von Bedburg nach Ameln.

Da aber in den Bedburger Fabriken in zwei Schichten gearbeitet wird, muß die ganze Arbeiterschaft weite Fußwege machen. Das hat nun ein Weiser von der Fahrplanleitung entdeckt und neue Züge in Aussicht gestellt. Wie er unserem Mitarbeiter versichert, soll ein Triebwagen von Mödrath über Bedburg bis Ameln durchlaufend verkehren. Das würde allgemein begrüßt.

Hoffen wir, daß sich diese Pläne über die Einlegung neuer Züge im Kreisgebiet, besonders in der verkehrslosen Pause, bald verwirklichten. Dann fließt auch wieder mehr Geld in die Ausgabestellen der Fahrkarten.

Chr. Sch. Rh.

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