Kölnische Rundschau vom 6. Dezember 1950

Ihre Majestät, die Zuckerrübe

Landwirte tagten in der Elsdorfer Zuckerfabrik - Besichtigung des Werkes

Elsdorf. Der Kreisvorsitzende des Rheinischen Landwirtschaftsverbandes Bonn hatte alle Landwirte zur Besichtigung der Elsdorfer Zuckerfabrik Pfeifer & Langen gebeten. Sinn und Zweck der Einladung war, den Rübenanbauern vorzuführen, wie schwierig die Verarbeitung der Zuckerrübe ist.

Mehr als 100 Besucher und Besucherinnen waren dieser Einladung gefolgt und nahmen mit größtem Interesse an der Führung und den Vorträgen im „Deutschen Haus“ teil. In Gruppen zu etwa je 20 Teilnehmern ergoß sich ein wißbegieriger Besucherstrom in die einzelnen Stationen der Zuckerfabrik. Fünf erprobte und langjährige Mitarbeiter des Betriebes gaben bereitwilligst erläuternde Auskünfte und suchten nach Kräften, den Maschinenlärm und die pfeifenden Signale zu übertönen. Man stieg wendeltreppenähnliche Gänge auf- und abwärts und blieb fast drei Stunden bemüht, Augen und Ohren nichts entgehen zu lassen. Weilte man eben noch in kühleren Regionen, so wünschte man sich auf der nächsten Station eine passende Tropenausrüstung. Eine nahezu verwirrende Fülle von Eindrücken ließt kaum noch Zeit zu einem Gedanken an die für diese Zeitspanne völlig abgeschaltete „Außenwelt“. Einige der anwesenden Landwirtsfrauen mögen insgeheim sehnsüchtig der so unkomplizierten Eigenrübenkocherei vergangener Zeiten gedacht haben, da man im heimatlichen Waschkessel die „Knollen“ leichter und weniger begriffsverwirrend zu Schnitzeln und dem damals heiß begehrten „Siruptütt“ verarbeitete. Der Nichtfachmann begann wohl zum ersten Male in seinem Leben, sich vor „ihrer Majestät, der Zuckerrübe“ ehrfürchtig zu verneigen ...!

Die Besichtigung und der anschließende, alles Geschaute klar zusammenfassende Vortrag von Dr. Sedlaczek als Vertreter der Zuckerfabrik ließen plastisch und eindrucksvoll den Verarbeitungsweg der Zuckerrüben bis zu ihrer verschiedenen Produktion einsehen.

Das Entladen geschieht durch Wasserdruck. Draußen auf freiem Gelände werden die gefüllten Rübenfuhrwerke, etwa 500 am Tag, mit einem Pumpendruck von 2 ½ Atmosphären abgespritzt und durch verschiedene Nebenkanäle in einen unterirdischen Hauptlaufkanal gespült. Nach dieser Vorreinigung und dem Passieren des „Krautfängers“, der sie mitschwimmenden Blätter erfaßt, gelangen sie in die „Hauptwäsche“ der Fabrik. Ein Becherwerk-Elevator befördert die gesäuberten Rüben nach oben auf die automatische Fließbandwaage. Diese Waagenart benutzt man auch in der Kohlengroßproduktion. Nach dem Wiegen rollt die Frucht in die Schneidemaschine, um hier in bandförmige Schnitzel geschnitten zu werden. Die Elsdorfer Zuckerfabrik schneidet in einem Tage 20.000 dz. Nun werden die Schnitzel unter Hinzufügung von Wasser ausgelaugt, damit der in den Schnitzeln lagernde Zucker in den Saft ausgetauscht wird. Nach der Auslaugung wandern die nassen Zuckerschnitzel in besondere Trockentrommeln. Der zurückbleibende „Rohsaft“ wird mit Hilfe von Kalk- und Kohlensäurezugaben gereinigt. In Filterpressen wird der Kalkschlamm vom Saft filtriert. Aus dem bisherigen Rohsaft ist jetzt der „Dünnsaft“ mit einem ungefähren Zuckergehalt von 13 bis 14 Prozent gewonnen worden. Durch Verdampfung erhält man aus dem Dünnsaft den sogenannten „Dicksaft“, der nun zur Kochstation fließt. Hier wird er einmal unter Vakuum zu einem Kristallbrei gekocht, und das „Zuckerkorn wächst“. Dieser Kristallbrei wird Füllmasse genannt; diese Füllmasse wird in Maisehen abgelassen und nach einigen Stunden in Zentrifugen geschleudert. Durch mehrmaliges Umkochen des gewonnenen Zuckers erhält man Raffinade, und zwar Raffinade-Kristall, Würfel und Kandis.

Zur Raffinade-Würfelzuckergewinnung kocht man den Rohzucker noch mehrmals um und läßt ihn dann in anderen Zentrifugen mit besonderen Platteneinsätzen schleudern; die so gewonnenen Zuckerplatten müssen einige Stunden erkalten und trocknen. Die auf Gitterwagen lagernden Zuckerplatten glitzern und glänzen, als seien sie einer Märchenlandschaft entwachsen, und erinnern in ihrer schimmernden Reinheit in nichts mehr an ihre Urmutter, die schmutzige Knollenrübe! In der „Knipperei“ werden die Platten zuerst mit Sägen „gesäumt“, dann maschinell in Streifen geschnitten und in die ... [...] ... unzählige Fäden in bestimmten Abständen nebeneinander gespannt sind. Hier hinein füllt man die konzentrierte Raffinadenzuckerlösung, die keinerlei Erschütterung erfahren darf. An den Härchen dieser Fäden nun „wächst“ das Kristallmolekül zum Kandisstück innerhalb von zehn bis elf Tagen heran. Kandis ist der absolut chemisch reine Zucker. Dieser wasserhelle Fadenkandis (es gibt auch fadenlosen!) wird hauptsächlich nach Friesland gehandelt, da die Friesen nämlich zuerst das Kandisstück in den Mund nehmen und dann den Tee darüber trinken.

Wie überall in der Zuckerfabrik wurde auch in der Wiege-, Verpackungs- und Lagerabteilung die erleichternde Arbeit des Fließbandes festgestellt. Maschinelles Wiegen, Abfüllen, Nähen und Stapeln der fertigen Säcke sparen Zeit und überflüssigen Leerlauf. Im großen Lagerraum, der etwa 120.000 dz faßt, mußten früher die Arbeiter Stufe für Stufe die schweren Zweizentnersäcke hochschleppen. Heute besorgt der fleißige Roboter „Fließband“ bis hoch unters Dach diese Arbeit.

Im Schnitzeltrockenhaus deutete der Führer lächelnd auf die verrußten Heizer der drei gewaltigen Öfen, die eine Hitze von 900 Grad erzeugen, und meinte, er wolle uns doch auch einen Blick in die Elsdorfer „Hölle“ und deren Fegefeuer gönnen! Dieses Höllenfeuer ist nötig, um die darüber befindlichen Trockentrommeln für die Schnitzel zu erwärmen.

Nach einem bewundernden Blick in das „unermüdlich klopfende Herz der Fabrik“ - das fabrikeigene Kraftwerk mit seinen drei gewaltigen Dampfturbinen, deren größte bei 3000 Drehungen in der Minute 2600 KW liefert -, und in die Wasserversorgungsbrunnen der Fabrik glaubte man, genügend Kenntnisse gesammelt zu haben.

Gern ließen sich alle Teilnehmer nach diesen „Strapazen“ die handfesten und trinkbaren Erfrischungen reichen, bevor die Sitzung im „Deutschen Haus“ begann. Gastgeber war auch hier die Fabrik, die damit vermutlich ihren langjährigen, treuen Lieferanten einen anerkennenden Dank spenden wollte. Über die anschließende Arbeitstagung der Bauern berichten wir noch.

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