Dem Bauernstand sei Preis und Dank
Ausstellung: Vom „Kappesschaber“ bis zum Alleskönner

Von Werner Rosen


„Die Eifeler Landwirtschaft war nie auf Rosen gebettet“. Dieses geflügelte Wort aus einer Zeit, als wehleidiges Klappern noch zum kommunalpolitischen Handwerk gehörte, hat mit dem auslaufenden 20. Jahrhundert viel von seiner Argumentationskraft verloren. Karger Boden und rauhes Klima, rückständige Arbeitsmethoden und mangelnder Bildungsstand, Grenzlage und Marktferne, reichen nicht mehr zum einstigen Codewort für das fiskalische „Sesam öffne Dich“. Die Futterkrippe der ohnehin abgemagerten Zuschuß- und Förderungstöpfe wird mit dem staatlichen Subventionsabbau auch für den Agrarsektor immer höher gehängt.


Der Antoniushof bei Dreimühlen stand in den ersten Augusttagen 1991 im Mittelpunkt eines historischen Erntefestes. Ein großflächiges Gerstenfeld wurde mit Gerätschaften der „Gründerjahre“ in die Scheuern gefahren.

Dabei sind die „Bergvölker“ auf ihrem dornenvollen Weg aus der Isolation in die alles verheißende Europäische Wirtschaftsgemeinschaft noch keineswegs über dem Berg. Die Schwachen blieben zuerst auf der Strecke oder wurden von den Stärkeren willig in die Arme genommen. Immer weniger Landwirte bewirtschaften immer größere Flächen. Dabei geraten sie nach vier Jahrzehnten produktionssteigernder Höchstleistungen unaufhaltsam in den Umkehrschub marktkonformer Bremsmanöver. Stillegung und Brache, Milchquote und Selbstbeschränkung finden heutzutage mehr Anreiz als Fortschritt und Leistung. Sind die Früchte der Ernte vielen schon zu einem Fluch geworden? Ein schlimmes Paradox in einer Welt, in der mehr als ein Drittel der Menschheit erbarmungslos um die menschlichste Bitte im innigsten Gebiet der Christenheit zu ringen hat: „Unser tägliches Brot gib uns heute“.

Nur noch wenige Jahre trennen vom dritten Jahrtausend. Das 20. Jahrhundert ist in seine Endphase getreten. Mit zwei verheerenden Weltkriegen hat es blutige Geschichte geschrieben, dank technischer und sozialer Revolutionen bessere Lebensqualitäten entwickelt, durch politische Umwälzungen die Friedenssehnsucht der Völker mit neuer Hoffnung erfüllt. Die Welt im Großen hat sich auch im Kleinen gewandelt. In einer Zeitspanne, die weniger als ein Menschenalter zählt, ist selbst im konservativen Landleben uraltes Denken und Handeln auf den Kopf gestellt worden. Die entlegendsten Eifeler Schlupfwinkel sind davon nicht verschont geblieben.


Toni Breuer als „Sensenmann“ auf eine Mähmaschine von Anno dazumal. Dieses Gerät wurde früher von Fahrkühen, Ochsen oder Pferden gezogen


Ein Kapitel Eifeltragik

Ein Blick zurück (ohne Zorn) ist ab und zu hilfreich, denn Vergangenes bewältigen heißt Künftiges besser gestalten. Die Eifeler Landwirtschaft des vorigen Jahrhunderts war lange von Notzeiten überschattet, wobei Schleiden im Reigen der Eifelkreise konstant das Schlußlicht bildete. Ohnehin ein Stiefkind unter deutschen Landen, als „Preußisches Sibirien“ und „Wildes Bergvolk“ verschrieen, suchten Entmutigte ihr Heil in der Neuen Welt. Von „Lockvögeln“ beschwätzt, verkauften sie ihre letzte Habe, wanderten aus und kamen vom Regen in die Traufe; eine beklemmende Parallele zum neutestamentarischen Exodus unserer Tage. Die Chronik dieser Hungerjahre empfiehlt sich auch als heilsame Therapie für mäkelige Supermarkt-Konsumenten oder Wohlstandspatienten, die unersättlich mit ihren Pfunden zu kämpfen haben.

Zweidrittel der Kreisbewohner konnten sich nur einmal im Jahr Fleisch erlauben, meistens zur Kirmes. Es sei denn, man folgte der preiswerten Menü-Empfehlung des Schleidener Wochenblattes 1847,Nr. 15: „die vielen Frösche zu fangen und deren Beine gebraten zur Consumption zu verwenden“. Hauptnahrungsmittel war eine Mischung von Hafermehl und Kartoffeln, als Brot bezeichnet. 30 Stunden oder drei Tage mußte ein Fabrikarbeiter für ein großkalibriges Schwarzbrot schuften, derweil Leute, die noch andere beschäftigen konnten, öffentlich als Wohltäter gepriesen wurden. Während Wolfsbraten als begehrter Leckerbissen galt, wurde der Tisch der Ärmsten mit Futterkräutern, Wurzeln und Kartoffellaub gedeckt. Da der Briefempfänger früher auch der Portozahler war, scheiterte manche Übergabe am fehlenden Kleingeld. Wer bettelte, wanderte gnadenlos ins „Kittchen“. Der Mann, der in diesen Jahren im besten Salär stand, freilich hoffnungslos überfordert schien, war der Gerichtsvollzieher. Überfordert war auch das unterbesetzte Dienstleistungsgewerbe der Zuchtstiere. Laut Viehstatistik gab es nämlich Ortschaften mit 300 bis 400 Stück Rindvieh, die sich mit einem einzigen „Zielochsen“ zufrieden geben mußten.

Angesichts solcher Misere kabelte der Bonner Landtagsabgeordnete, Professor Dr. Braun, im Jahre 1853 einen verzweifelten Hilferuf nach Berlin, indem er diesem Kapitel Eifeltragik mit irischer Lyrik „jenen schauerlichen Charakter“ bezeugte, „welcher den Gegenden in den Gesängen Ossians zu eigen ist“. Doch erst 30 Jahre später entsann sich Preußen seiner armen Verwandten jenseits des Rheines und bildete den Eifelfonds, den Wegbereiter des späteren Westmarkenfonds. Bis dahin waren es vorwiegend mildtätige Gaben aus allen deutschen Gauen, die Eifeler Not zu lindern versuchten.


Ziege als „Kuh des armen Mannes“

Auch im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts laborierte man konzeptionslos an den Symptomen. Resignierend wurden die Sündenböcke für Stagnation und Mißlingen im strukturellen Unwägbaren gesucht. Dabei hat das „Schmerzenskind der Verwaltung“ die längste Zeit unter hausgemachten Problemen gelitten. Die Erbsitte der Realteilung führte zu einer extremen Besitzzersplitterung, vorwiegend im Altkreis Schleiden. Gesundes Wachstum zu lebensfähigen Betriebsgrößen wurde durch eingezwängte Hoflagen mit unwirtschaftlichen Gebäuden in viel zu engen Dörfern gehemmt. Hinzu kam das Abseits der Höfe zu den landwirtschaftlichen Nutzflächen, bei einem völlig unzureichenden Wegnetz. Eines der Hauptübel lag jedoch in vielen Eifeler Bauernköpfen selbst, deren Markanz meist ausgeprägter ist als der Impetus zu Kurskorrekturen. Eigensinniges Festhalten an einer Bodennutzung, die man von altersher übernommen hatte, stand besseren Erkenntnissen im Wege.

Nach einer amtlichen Denkschrift aus dem Jahre 1928 bezogen 80 Prozent der Bevölkerung von 40.000 Einwohnern, in 7.993 Betrieben registriert, ihren Lebensunterhalt aus der Landwirtschaft. Es fehlt auch nicht an der kühnen These, „daß die hiesige Bevölkerung sich in erster Linie vom Ertrage des Boden ernähren muß“. Unterdessen lesen sich die Verwaltungsberichte des Landrats Graf von Spee zur Hundert-Jahr-Feier des Kreises Schleiden 1929, und solche aus den Vorjahren, wie ein Memorandum aus einem Entwicklungsland der Dritten Welt. Da ist von schlimmen Einbußen in der Schafhaltung die Rede. Aufkommende Morgenröte“ hingegen setzte man in der Schweinezucht. Die Ziegenbockkörung resümierte mit der düsteren Prognose, daß ein weiterer Rückgang des Bestandes von 4.771 Tieren große Einnahmeprobleme bringe, „weil die Ziege im Verhältnis zu ihrem Futter mit ihrem Körpergewicht bedeutend größere Nutzung gibt als die Kuh und der ärmste Mann Gelegenheit hat, sich eine oder mehrere Ziegen zu halten“. Der weitere Kreuzweg der Landwirtschaft zeichnete dann Leidensstationen „im gebirgigsten ärmsten Teil des Kreises auf“, gemeint ist die 700 Meter Höhenlage und Udenbreth, Hollerath und Losheim. Hier fiel die Reife oft in die schlimmste Regenzeit, mit Ernteschäden bis zu 60 Prozent an Hackfrüchten und 80 Prozent an Getreide. Trotzdem fehlt es nicht an hehren Schlußfolgerungen, „denn der Landwirtschaft fällt die Hauptlast der Gesundungsarbeit zu, allein ihr winkt auch hier der größte Ruhm“. Obendrein wird die wachsende Einsicht proklamiert, daß der Bauer der Zukunft mehr Köpfchen haben muß. „Darum Landwirte, schickt Eure Söhne in die Landwirtschaftliche Schule und sichert ihnen eine unverlierbaren Besitz, den Rost und Motten nicht verzehren können.


Der antiquierte Kordelbehälter des Binders aus der Vorkriegszeit war noch ebenso funktionstüchtig wie das Sisalgarn Marke „Uralt“


Von der Ackernahrung in die Milchseejahre

Erst mit den dreißiger Jahren kam es zu wirksameren Programmen, um die Landwirtschaft des Kreises Schleiden aus ihrer Lethargie herauszuholen. Der Beschluß des Kreistages aus dem Jahre 1933, eine eigene kulturbautechnische Dienststelle einzurichten, wurde zur Sternstunde der ersten Reformperiode. Kreiskulturbaumeister Hubert Kölsch mit seiner Mannschaft junger Siegerländer Kultur und Wasserbautechniker entfaltete sich zum Dreh- und Angelpunkt von 71 Gemeinden, die endlich mal „auf einen grünen Zweig“ kommen wollten. Das Sprungbrett hierzu bot ein umfangreiches Maßnahmenpaket von Dränagen und Melioreationen, Wirtschaftswegebau und Trinkwassersanierung. Doch alle guten Ansätze machte die dunkelste Epoche unserer neueren Geschichte schnell zunichte. Der zweite Weltkrieg hinterließ im Grenzland nicht nur zerstörte Dörfer und verminte Fluren, auch das Antlitz der Landschaft blutete aus unzähligen Wunden.

In der Nachkriegs- und Wiederaufbauzeit war es insbesondere die Flurbereinigung, die weit über den landwirtschaftlichen Nutzeffekt hinaus wahre Wunder gewirkt hat. Vom heutigen Amt für Agrarordnung - nach wie vor die beste Adresse für Eifeler Strukturförderung - ging eine Initialzündung aus, ohne die alles andere nichts gewesen wäre. Allerdings mußte diesen Wundern in vielen turbulenten Dorfversammlungen mit irdischer Rede- und Überzeugungskunst nachgeholfen werden. So leichtfertig gibt ein gestandener Eifeler konventionelle Bastionen nicht auf und „Flurbereinigung“ bleibt für Unbelehrbare immer noch ein Wort aus dem Vokabular des Bösen. „Mot dir moß mer Jodold han wie mem Buer em Bichstohl“, sagt eine Hellenthaler Redensart. Die „Missionare“ aus Euskirchen wissen ein Lied davon zu singen.

Mit den heilsverkündenden Zauberworten Grünlandwirtschaft und Milchproduktion gewann in den fünfziger und sechziger Jahren die Rindviehhaltung absolute Priorität, vor allem in der niederschlagsreicheren Südwestecke des Kreises. Bullenzucht wurde zu einem Slogan, auch der kreiskommunalen Arbeit. Die Frühjahrshauptkörnungen als „Nabelschau“ von Leistung und Schönheit stilisierten sich zur Dorfarena heißblütiger Vierbeiner - mit dem furiosen Szenenbild einer spanischen Corrida-Polizeibeistand gegen Übergriffe war gefragt. Herdbuch, Zuchtwertklasse, guter Vererber, schlechter Futterverwerter dominierte als sachverständige Formel über lokaleigener Wortschöpfung wie „Fulenzer“, was der Wirkung eines verweigerten TÜV-Siegels entsprach. Für die Stadt- und Amtsdirektoren bestand übrigens Präsenzpflicht, wenn sie nicht bei ihrer landwirtschaftlichen Phalanx in Ungnade fallen wollten, die in den meisten Räten das Sagen hatte. Schlüsselfigur dieser frühen „Milchseejahre“ war Kreistierzuchtwart Ludwig Schmitz. Er konnte von jedem Vatertier aus dem Sand heraus eine perfekte Ahnentafel mit Diagnose erstellen, wie im Gegenzug seine 150 „Schützlinge“ adäquate Betreuung mit Siegerprämien zu honorieren wußten.


Leistungsanreiz und Abschaffungsprämie

So ging man, an Haupt und Gliedern gestärkt, in das siebte Jahrzehnt - und tiefer in die EWG. Zweistellige Zuwachsraten wurden zur Regel. Rekordergebnisse in der Milchleistung wechselten mit Spitzenprädikaten in der Braugerste, die im Kreisgebiet Euskirchen mit 4.500 Hektar Anbaufläche hoch im Kurs steht, auch beim Biertrinker. Höhenlagen, in den früher der Hafer nicht reif wurde, feierten nie gekannte Erntetriumphe. Mit neuartigen Düngermethoden und Pflanzenschutzmitteln ist man sich in den „von der Natur benachteiligten Gebieten“ selber auf die Schliche gekommen. Vergessen die Mißernten von einst und in deren Gefolge Hungersnot und Teuerung. Wissenschaft und Praxis haben es möglich gemacht, was noch vor einem knappen Menschenalter für utopisch gehalten wurde: die klassische Dreifelderwirtschaft so zu variieren, daß sie gegenüber der wohlhabenden Niederung einigermaßen mithalten kann. Die geistige Erneuerung hat mit der maschinellen Aufrüstung der Landwirtschaft Schritt gehalten. Der Erfolg kommt einem Jahrhundertwerk gleich. Vielleicht hat auch der liebe Gott für vieles an früherem Ungemach ein Einsehen gezeigt?

So euphorisch und ungetrübt darf man es jedenfalls bis zur Wende in die 80er Jahre noch gelten lassen. Doch danach haben sich die Probleme von ehedem mit einem Salto mortale ins Gegenteil verkehrt. Es wird mehr in die Scheuern gefahren als Mensch und Tier verdauen können. Der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) 1958 mit dem Ziel angetreten, über den freien Warenverkehr und gemeinsamen Markt das Wirtschaftsleben in der Gemeinschaft zu harmonisieren, geht nach einem lawinenartig angewachsenen Milliardenwettlauf der Atem aus. Der Subventionspoker treibt die seltsamsten Blüten, mit Wildwuchs bis in das sensible Nervenzentrum weltwirtschaftlicher Mechanismen hinein. Die Harmonie ist völlig aus den Fugen geraten. Betroffen sind hierzulande Voll- und Nebenerwerbsbauern, die bei den gegenläufigen Reformen nunmehr die viel zu üppig geratene Suppe auszulöffeln haben.

Milchsee, Butterberge, Rindfleischhalden sind ebenso zum obskuren „Wortschatz“ geworden wie Milchquote, Flächenstillegung und Extensivierung, die im nunmehr gesamtdeutschen Duden nicht fehlen werden. Kühlhäuser und Vorratshallen vermögen den „goldenen Überfluß“ kaum mehr zu fassen, von den gewaltigen Lagerkosten einmal abgesehen. Die Europäische Gemeinschaft hat den Bauern die Daumenschrauben angelegt und den Brotkorb höher gehängt. Aus den Leistungsprämien von gestern sind Abschaffungsprämien von heute und morgen geworden. Die Freude über die Rekordernte 1991 ist eher gedämpft, weil die riesigen Überschüsse auf die Preise drücken. So soll der Landwirt für sein Produkt immer weniger erhalten, obschon überall Löhne und Kosten munter steigen.

Kann man es ihnen verdenken, wenn die „Söhne der Berger“ ihr Heil mehr und mehr im geregelten Achtstundentag suchen und den Kampf um Zuwachsraten getrost der Tarifgewerkschaft überlassen? Wären nicht die Alten noch über Gebühr im Einsatz, es sähe mancherorts bitterböse aus.


Ein „Altgedienter“ mit einem jungen Kennzeichen: Schmiedemeister Mathias Schmitz aus Holzheim sorgt schon dafür, daß auch Veteranen der 50er Jahre „arbeitsfähig“ bleiben


Die Perspektiven der neunziger Jahre

100 Jahre später ist das Landvolk, auf Biegen oder Brechen, mithin vor eine neue Herausforderung gestellt. Weniger produzieren und trotzdem das Landschaftsbild nicht verkommen lassen, lautet die Devise. Einschränkung landwirtschaftlicher Nutzflächen unter dem Gesichtspunkt der Biotoppflege als Regulativ. Professor Dr. Wolfgang Schumacher, seit zwei Jahrzehnten der profane Eifeler Schutzpatron für Naturhaushalt und Artenvielfalt, ist für die gedrosselten und gebeutelten Landwirte im Kreis Euskirchen zu einem gewinnbringenden Ansprechpartner geworden. Schon immer beharrlicher Mitstreiter im Kampf um ökologisches Gleichgewicht, sollen sie jetzt als die „grünen Söldner“ der EWG verstärkt gegen Mißbrauch und Umweltzerstörung zu Felde ziehen. Vielleicht erspart das sogar den Landgemeinden die fußläufige Planstelle eines beamteten Hirten mit jenen kommunalen Schafherden, die sonst von Amts wegen über die karstigen Berghänge getrieben werden müßten.

Daß dem negierenden Instrumentarium der EWG auch anderwärts noch hilfreiche Impulse abzugewinnen sind, zeigen die beachtlichen Zuschüsse, die Brüssel beispielsweise für Maßnahmen der Dorfgestaltung (zurück-) fließen läßt.

Unsere Dörfer haben sich zu sehenswerten Schmuckstücken auf dem farbenfrohen Paradekissen einer vielfältigen Landschaft herausgeputzt. Ihr heutiger Wohnwert in unserer verstädterten Massengesellschaft ist einmalig. Das war, weiß Gott, nicht immer so. Infrastruktur und Dorfverschönerung, Gemeinschaftsgeist und Heimatliebe sind die Zauberformel dieser Renaissance.

Dieses Image gilt es stärker umzumünzen, vor allem auf dem noch jungfräulichen Gebiet des Fremdenverkehrs. Deutschland ist und bleibt das billigste Reiseland, die Eifel zudem auch eines der interessantesten Ausflugsziele. Der Trend geht allenfalls zurück zur Natur und zum Erholungsurlaub, der dieses Wort verdient. Wenn auch der Misthaufen als Statussymbol von einst zur Mangelware geworden ist, würzige Landluft und ozonreiches Reizklima bleiben wie auch immer beständig und unausschöpfbar. Familienferien auf dem Bauernhof hoben beispielsweise im Hellenthaler Oberland Rang und Klang, sind indessen von ihrer flächendeckenden Kapazität weit in der Hinterhand gegenüber Schwarzwaldregionen. Der Eifeler Landwirt, wandelbarer und anpassungsfähiger denn je, müßte hier beherzter zupacken und sich seinen Anteil an den Zuwachsraten sichern.

„Aus deutschen Landen frisch auf den Gästetisch“. Es gibt wohl keine bessere Prognose im Existenzausgleich für bröckelnden Halt. Das läppische Wort von den Fremden, die besser zu melken sind als die Kühe, entstammt ohnehin nicht dem heimischen Sagengut. Der Eifeler steht für solidere Erkenntnisse, etwa in puncto Bauernregeln, wenn man ihm auch bösartigerweise nachzusagen versucht, daß bei „Gewitter im Mai, ist der April vorbei“ oder „Wenn es auf Silvester schneit, ist das Neujahr nicht mehr weit“ die Trefferquote am höchsten sei.

Doch zurück zum Heiter-ernsten und zu einem weiteren Arbeitsfeld, das sich als ureigene Domäne des Landmannes kommerziellen Zwängen entzieht. Der Bauer ist nicht allein Produzent und Naturschützer, er verkörpert in seinem Tun und Handeln auch alle idealen Eigenschaften des geborenen Brauchtumspflegers. Die Besonderheiten eines Raumes präsent zu halten, individuelle Lebensformen in einer anonymen Industriegesellschaft nicht untergehen zu lassen, tut not. Wie kaum anderswo im vereinigten deutschen Vaterland ist die Eifel mit ihrer geheimnisvollen Sagenwelt eine unerschöpfliche Fundgrube von Sitten und Gebräuchen. Vieles von diesem Brauchtum hat schon einen zugkräftigen Namen. Weniger Spektakuläres spielt sich im stillen Winkel der alten Dorfgemeinschaften ab. Die Substanzverluste durch die Kommunalreform über verstärktes Eigen- und Vereinsleben wettgemacht haben. Altes gilt es wiederzuentdecken, Neues aufzuwiegen. Das erste August-Wochenende 1991 hat dabei einen weiteren Markstein gesetzt.


Der gute alte Holzleiterwagen hat als Heu- und Garbenfahrzeug noch lange nicht ausgedient


Festival der „Ehemaligen“

Es war ein Eifeltag der Langsamen und der Schnellen, alles unter dem Motto: Alte Liebe rostet nicht. „Auf Wimmels“ mit dem Antoniushof anno 1959 fühlte man sich durch ein nostalgisches Debüt von 60 namensträchtigen Traktoren aus sechs Jahrzehnten in die Gründerzeit der landwirtschaftlichen Mechanisierung zurückversetzt. Derweil grüßte am Rande dieses Geschehens die Eifelautobahn A 1, die (noch) Unvollendete, mit vielen Vorbeiflitzenden, die dem 19. Oldtimer-Grand Prix auf dem Nürburgring zueilten. Hier wie dort ein liebhaberstarkes Stelldichein edler Veteranen, allerdings mit dem Primat einer Uraufführung in der Heerschau der zwar hubraummächtigen, aber PS-schwachen Truckerklasse.

Mehrere 1000 Besucher lockte diese Reise in die Vergangenheit auf die sonst einsame Höhe 446 NN im Dreieck Eiserfey-Harzheim-Dreimühlen. Die Freilichtkulisse einer längst vergangenen Welt tat sich auf, mit einem Hauch von Romantik und altväterlicher Kultur. Ein Tagesmuseum unter strahlendem Himmel in einem Landstrich mit mannigfachen Spuren keltischer und römischer Vorherrschaft, nahe der Kakushöhle, die schon dem Homo sapiens der Eiszeit als Zufluchtstätte diente.

Lanz-Bulldog-Fans und Traktorentüftler waren ebenso hingerissen wie die jungen Hoffnungsträger der „Grünen Front“, die der immer noch funktionierenden Technik von „Anno Piefendeckel“ ihren Tribut zollten. Kettengelenkt und glühlampenvorgeheizt, handgeschwengelt und seemannsgesteuert fachsimpelte es nur so. Allen Vehikeln war zu eigen, daß sie schon rackerten als vielerorts noch die milchgeschwächte Fahrkuh „Mädchen für alles“ spielte oder die Pflugschar mit störrischen Ochsen halsbrecherisch über Hanglagen balanciert werden mußte. Manch einer der Alten wischte sich verstohlen eine Träne aus den Augen, im Rückblick auf die „gute alte Zeit“, die es nie gab, die dennoch die Welt der Kindheit und Jugend wehmütig in Erinnerung rief.

Wo heute modernste Einmann-Geräte, Alleskönner von 120.000 DM, in einem Arbeitsgang mähen, dreschen und binden, mußte früher die ganze Familie, mit Kind und Kegel, Oma und Tante, heran. Das wurde eindrucksvoll demonstriert, als es wie beim Erntefest vor 60 Jahren zur Sache ging. Die Liebhaber dieselsparender Groß- und Kleingeräte kamen bei diesem Stück Heimatgeschichte genauso auf ihre Kosten. Althergebracht die Mähmaschine im Partnerlook, bei der neben dem Gespannlenker der Sensenmann mit dem Zeppelin (Halmteiler) operierte. Selbst der gute alte Holzleiterwagen, mit radialen Speichen sogar ein begehrtes Kunstwerk, feierte fröhliche Urständ: Als meist überladener Hochstapler in der Heusaison ebenso erprobt wie zweckentfremdet beim ritualen Aufbruch zu frommen Reisezielen; solchermaßen als Wallfahrtsambulanz für liegengebliebene Fußkranke und Korpulenzgeplagte, die sich auf den mühsamen Weg nach Barweiler ein „kapitales Wölfchen“ gelaufen hatten.

Mistspreizer und Wendepflug, Holzrechen und „Kappesschaber“, Butterfässer, Zentrifugen und andere Requisiten aus der Schwarzmarktzeit, alles war nach Väter Sitte vertreten. Von Opas Strangtabaksbeutel bis Omas „Rubelswaschbrett“ reichte die historische Palette und machte die Zeit lebendig, als Mensch und Tier energiesparend Wand an Wand lebten und sich schlechterdings die einzige Zugangstür zu Haus und Stall teilen mußten.

Star des Tages war unangefochten ein Dreschkasten mit dem anspruchsvollen Gütezeichen „Fortschritt“. Ein Frühmodell aus der Spätzeit des Dreschflegels, dem man seine Wanderjahre auch an der vergilbten Offerte ansah, daß „noch ein junger Mann zum Mitreisen gesucht wird“. Wie ein feuriger Elias malträtierte der Publikumsliebling zwei Tage lang Breuers überreife Wintergerste, wobei von der Bandbreite des flatternden Riemenantriebs noch gut einige Scherenschleifer hätten profitieren können. Das „Wunder“ des saftig gepreßten Grünfutters, statt spröder Stoppeln, entpuppte sich schnell als Ernterückstand aus der vorausgegangenen Nutzung des Abpackgerätes. Ansonsten gab es nur Probleme für jene Schaulustige, die dem Pustebreich des Kaaf-Gebläses zu nahe kamen und sich lausigerweise mit Juckpulver-Symptomen gepeinigt fühlten.

Hier und da lästerte man zwar, „do häv sech Breuesch Tünn bellich söng Jersch jet dreische loße“. In dem Bestreben, viele bäuerliche Lebensformen der Nachwelt zu erhalten, ist es aber seine Pioniertat, mit einigen engagierten Feybachtälern eine Veranstaltung ins Leben gerufen zu haben, die im nostalgie- und museumsfreudigen Kreis Euskirchen einen gesicherten Platz im Jahreskreis Eifeler Brauchtums verdient hat.

Nach dem geglückten Auftakt 1991 sollten sich alle Akteure ermuntert fühlen. Und hier die gute Adresse für weitere Vorschläge und Anregungen: Toni Breuer (48), Antoniushof, 5353 Mechernich-Dreimühlen (Telefon 02484 / 14 89). Mit 80 Hektar Grün- und Ackerland und 100 Stück Rindvieh gebührt ihm das Prädikat eines Vollblutlandwirts, der dazu aus der „Zucht“ von Dr. Ludwig Offermanns kommt. Aus dessen legendärer Kaller Landwirtschaftsschule, im Volksmund als „Kappes-Akademie“ bekannt, sind namhafte Bauerpersönlichkeiten hervorgegangen. Immer einsatzfreudig auch die quirlige Hausherrin des Antoniushofes und Mutter zweier hoffnungsvoller Nachwuchskräfte: Frau Irmgard oder „Irmche us Waldorf“, deren Vater „Esser Pitt“ in der Blankenheimer Ahrgemeinde als emsiger Waldarbeiter ebenso populär war wie als Eifeler Schalk, der sich speziell auf die Produktion von „antiken“ Dreschflegeln verstand. Dem allzu zögerlichen Alterungsprozeß wußte der Schlauberger mit hausgemachter (Jauche)-Beize frappierend echt nachzuhelfen.

Daß die dienstbaren Geister der Landfrauenvereinigung Mechernich-Holzheim vor lauter Gästebetreuung ihren Männern vor Ort kaum mehr mit „Möt und Mitchen“ zu Hilfe eilen konnten, hat den positiven Gesamteindruck nicht mindern können. Zum nächsten nostalgischen Erntefest kann das stilecht aufgearbeitet werden, wie die Premiere 1991 jedwede Bereicherung zuläßt. So oder so fühlte man sich in der schweißtriefenden Freilichtarena durch frischgekühlten Gerstensaft gelabt, wozu sicherlich auch die exklusive Thekenwahl gleichsam auf dem Saatgut hochwertiger Braugerste beigetragen hat.


Axel Horres aus Lorbach, einer der Initiatoren des historischen Erntefestes „Auf Wimmels“ beim Garbenbinden


Dollendorf als Vorbild

An dieser Stelle muß einer gleichgelagerten Veranstaltung ebenfalls Dank und Anerkennung gezollt werden; dem im Turnus von zwei Jahren ablaufenden Erntefest in Dollendorf, einst Zentrum einer römischen Siedlung, jetzt Patendorf eines ortsnahen Wacholder-Naturschutzgebietes. Als größte und schönste Festivität dieser Art in unserer Region, notiert sie schon seit acht Jahren Besucherzahlen, die nur von der „Wittlicher Säubrennerkirmes“ oder dem „Blankenheimer Geisterzug“ überboten werden. Es ist kein Zufall, daß einiges aus dem Dollendorfer Szenarium sich auf „Wimmels“ wiederfindet oder, konkreter gesagt, von der Antoniuskapelle zum Antoniushof übergreift, und man sieht ihm an, daß seine Vorfahren einmal römische Legionäre waren.

Den Dollendorfer Initiatoren mit Ortsvorsteher Franz Caspers darf bescheinigt werden, daß sie mit diesem historischen Erntefest einen heimatkundlichen Beitrag ersten Ranges leisten. Es spricht für den Gemeinschaftsgeist dieser ehemals selbständigen und selbstbewußten Gemeinde an der südöstlichen Kreisgrenze, aber auch für den ausgeprägten Bürgersinn im Oberahrbezirk, daß keine persönlichen Mühen und Opfer gescheut werden, um wertvolle alte Bräuche in der Manier eines Volksfestes zu erhalten und zu transportieren: Fast ein Eifeler Oberammergau, indem jeder seine Statistenrolle spielt, gleichsam als Dank für Gottes Segen, an dem alles gelegen ist.

Was das Dollendorfer Erntefest qualitativ auszeichnet, ist die hohe Meßlatte, die man sich selber angelegt hat. Die Präsentation orientiert sich streng an historischen Vorbildern, von der Vielfalt alter Gerätschaften bis zu der eigens für diesen Tag trainierten Fahrkuh. Originalität ist Trumpf, das Unikat gefragt. Mit einem Karnevalszug, der dieser Erntezug nicht sein kann, hat er bestenfalls nur die Blumenpracht des langen Wagenkorsos gemeinsam. Alkohol ist bei den Akteuren tabu, auch sonstwie steht Reputation über Ausgelassenheit. Der Dollendorfer Erntezug 1991 mit seinen farbenprächtigen Fuß- und Trachtengruppen war, nebenbei bemerkt, auch Generalprobe für die 1000-Jahr-Feier des Ortes, die 1993 ansteht und wieder einmal mehr beweisen wird, daß auch hochbetagten Dörfern mit Gespür für Tradition die Jugend und die Zukunft gehört. Wer einmal hier wie dort dabeigewesen ist, weiß die „Eingeborenen“ zu schätzen und zu lieben, identifiziert sich gern mit ihrer Lebensart und öffnet weit sein Herz für Land und Leute. Was will man mehr von einem Begehr, nun grenzenlos als „Eifel“ gepriesen, geschmückt wie eine Braut, die auf viele Freier wartet.



Ein vorsintflutlicher Dreschkasten ohne erkennbare Altersschwäche, „angeschwengelt“ von einem Diesel-Deutz des Baujahres 1938. Der Streubereich des Kaaf-Gebläses glich dem einer Konfetti-Kanone
Fotos: Kreisbildstelle


Heimat ist das Bleibende

„Die Eifel hat des Schönen und Reizenden viel, sie ist wie alle Berg- und Waldlande von den meisten anderen Bezirken in Sitte, Art und Lebensweise eigentümlich.“

Diese Worte von Ernst Moritz Arndt haben auch 150 Jahre später nichts von ihrer Aktualität verloren. Alle Lebensformen ziehen ihre Art aus den Heimatwurzeln, da wo die Wiege gestanden hat, wo man sich inständig mit Mutter Erde verbunden fühlt. Das hat mit Gefühlsduselei nichts zu tun. Heimat ist die Erbgnade. Dem modernen Menschen ist dieser Begriff verlorengegangen, das Recht auf Heimat wurde vielen genommen, Heimatlosigkeit ist zur Zivilisationskrankheit unseres Jahrhunderts geworden.

Tradition und Althergebrachtes sind Brücke zwischen Vergangenheit und Gegenwart, getreue Wegkameraden in einer urbanen Welt. Brauchtum und Sitte verbrüdern die Herzen der Menschen und der Völker, sind Balsam für Leib und Seele, schenken neues Heimatgefühl. Wenn der Eifeler Landmann nach einem Jahrhundertfeldzug ohnegleichen um Gottes Gaben allezeit - nunmehr in die Defensive gedrängt – den Segen der Erde zügeln soll, ins seinem unverzichtbaren Postulat als bester Bewahrer der Landschaft und Gralshüter eines reichen Kulturgutes, kann er keinen Mengenbeschränkungen unterworfen werden.

Der Hunger nach heimatlicher Geborgenheit ist niemals zu stillen.

Kreis Euskirchen Jahrbuch 1992

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