Vor 30 Jahren: „Auf Spandau läuft nichts mehr“
Bergbaugeschichte in der Voreifel endete am 31.12. 1957

Von Hans-Gerd Rüth (†)

Der Bleierzbau war neben der Landwirtschaft jahrhundertelang die wichtigste Verdienstquelle für die Menschen im Mechernicher Land. Vor 30 Jahren, am 31.12.1957, war jedoch auf dem Bleibergwerk der Gewerkschaft Mechernicher Werke (GMW), im Volksmund nur „Spandau“ genannt, die letzte Schicht gefahren. Damit ging eine fast 2000jährige Bergbaugeschichte in der Voreifel zu Ende. Wie es zu diesem Stillstand kam, welche Bedeutung er für die Beschäftigten und für die Ortschaften um den Bleiberg - im nachfolgenden an den Beispielen von Mechernich und Strempt verdeutlicht - hatte, und wie die bergmännische Tradition heute noch gepflegt wird, soll der folgende Beitrag erläutern.


Erzförderung auf der 1. Strosse des Kallmuther Hochtagebaues mit LMG-Bagger und Großraum-Förderwagen


Entwicklung in der Nachkriegszeit

Nachdem das Werk 1937 von der Preussag übernommen worden war, gab es für die GMW nach jahrelangen Schwierigkeiten wieder positive Bilanzen. Dazu trug auch die Rüstungspolitik des Dritten Reiches bei. Zur vorübergehenden Stillegung des Betriebes kam es, als die Energieversorgung durch Kriegseinwirkungen im Winter 1944/45 unterbrochen wurde und er Untertagebetrieb dadurch absoff. Außerdem wurden einige Werksanlagen durch Bombenangriffe im gleichen Winter zerstört. Aufgrund dieser Umstände erschien es fast wie ein Wunder, daß die 1947 aufgenommenen Wiederherstellungsarbeiten soweit gediehen, daß schon im Frühjahr 1948 der Tagebaubetrieb und die Bleihütte sowie im September des gleichen Jahres der unterirdische Abbau wieder aufgenommen werden konnten.

Doch ganz ohne Rückschläge blieb der Wiederaufbau nicht: Der Kredit der englischen Militärregierung, der dem Unternehmen genehmigt worden war, wurde durch die Währungsreform (1948) erheblich abgewertet. Zudem zerstörte das Erdbeben vom März 1951 große Teile des Untertagebaues.

Außerdem fiel der Weltbleipreis seit 1949 immer tiefer, und nur durch einen abermaligen Kredit, der diesmal das Land Nordrhein-Westfalen zur Verfügung stellte, konnte man eine frühzeitige Stillegung verhindern. Ein weiteres Bestreben der Werksleitung war es, die Produktion durch erhebliche technische Verbesserungen zu steigern. Dies gelang auch weitestgehend bis 1955, da sich zu Beginn der 50er Jahre der Bleipreis stabilisierte und durch die Koreakrise (1950-1953) stetig in die Höhe ging.

1952 waren auf „Spandau“ ca. 1.400 Menschen beschäftigt, so daß das Werk wieder einen der größten Arbeitgeber des Kreises Schleiden stellte. In dieser Zeit blühte der Bergbau wie lange nicht mehr in der Voreifel, und auch alte bergmännische Traditionen wurden wieder aufgenommen. So bildete sich 1952 die Bergkapelle wieder und 1953 feierte man im “Eifelstadion“ zu Mechernich zum ersten Mal nach dem Kriege wieder ein großes Bergfest, das auch 1955 und 1957 stattfand. In jenen Jahren war man davon überzeugt, daß der Bergbau bis ins nächste Jahrtausend den Menschen im Raum Mechernich Arbeit und Brot geben könnte, zumal man damals noch auf ein großes Bleivorkommen in dem noch nicht ganz erschlossenen „Westfeld“ zwischen Scheven und Kallmuth hoffte. Bereits 1938 hatte die Preussag in diesem Gebiet Probebohrungen durchführen lassen, die jedoch durch den 2. Weltkrieg unterbrochen wurden. Doch nur wenig später sollte alles anders kommen ...



Hauer und Lehrhauer beim Schaufeln bzw. Beiziehen von Erzgut auf Schüttelrutsche im Untertagebaubetrieb „Trommelfeld“


Stillegung

Auf dem Bergfest im Sommer 1957 sprach der damalige Leiter der GMW, Bergassessor Franz Ehring, von einer „bedrohlichen Situation“. Damals konnten sich die Bergleute aber noch nicht vorstellen, daß „ihr Spandau“, auf das sie alle mit Recht so stolz waren, nur wenig später zum endgültigen Stillstand kam. Zu oft schon war das Werk krisengeschüttelt gewesen, als daß eine neuerliche Krise den „Spandäuern“ jegliche Hoffnung nehmen konnte.

Doch leider sollte Herr Ehring Recht behalten. Die Lage war wirklich bedrohlich, und das aus folgenden Gründen:

  1. Durch die Änderung der amerikanischen Vorratspolitik verfiel der Metallpreis mehr und mehr, was beim Blei 40 % gegenüber 1956 ausmachte.

  2. Die gestiegenen Lohn- und Materialkosten wurden für die GMW untragbar.

  3. Die zur Erkundung von neuen Erzlagerstätten durchgeführten Probebohrungen führten nicht zu den erhofften Ergebnissen, so daß ein weiterer Abbau unrentabel schien.

Im Herbst 1957 sah sich die GMW gezwungen, bei Aufsichtsrat der Preussag die Genehmigung für die Stillegung einzuholen, die am 21. 10. des gleichen Jahres erteilt wurde. In einer Betriebsversammlung am 2. 11. 1957 wurde den Arbeitern und Angestellten mitgeteilt, daß der Betrieb zum 31.12.1957 geschlossen wird. Demgegenüber sollte die Bleihütte bis zum März in Betrieb bleiben. Damit drohte 1.052 Menschen Arbeitslosigkeit. Ob das gute Angebot der Bundesrepublik, die auf dem Grundstück der GMW eine Militäreinrichtung schaffen wollte, und dann auch getan hat, die Stillegung beschleunigte, wird heute unter den alten „Spandauern“ noch heftig diskutiert. Aber nach 30 Jahren wird sich das nicht mehr feststellen lassen.


Bergleute beim „Ahnmaach“ (Kaffeepause) in einer Nebenstrecke des Trommelfeldes


Reaktionen in der Bevölkerung

Trotz der vielfach eingehaltenen Versprechungen der Preussag, soziale Härten zu vermeiden und durch die Förderung neuer Industrien oder Unterbringung in anderen Bergwerken oder Preussag eigenen Betrieben neue Arbeitsplätze zu schaffen, war die Bestürzung in der Bevölkerung sehr groß. Besonders ältere Mitarbeiter sorgten sich um ihre Zukunft und die jüngeren wußten, daß sie möglicherweise die Eifel verlassen mußten, um neue Arbeit zu finden. Das Bergarbeiterdorf Strempt war besonders betroffen. Die meisten männlichen Arbeitnehmer waren auf „Spandau“ beschäftigt. Aber es waren ja nicht nur die finanziellen Sorgen, die ausschlaggebend waren. In vielen Strempter Familien war es üblich, daß die Männer schon seit vier oder fünft Generationen am Bleiberg arbeiteten. Oft waren Väter gemeinsam mit ihren Söhnen dort tätig. Diese jahrhundertealte Tradition hatte jetzt ein Ende.


Im Bau befindliche Turmförderanlage mit Bandstraßen, Aufbereitung und großem Eindicker


Die letzte Schicht

Die schlimme Gewißheit, nie mehr auf „Spandau“ arbeiten zu können, führte im Dorf zu einem lähmenden Entsetzen, von dem ältere Strempter heute noch erzählen.

Die Arbeit auf „Spandau“ war trotz besserer Sicherheitsmaßnahmen durch die Preussag hart und gefährlich. Die gemeinsame Gefahr, die ein Aufeinander-Achtgeben erforderte, gab der Arbeiterschaft gleichzeitig ein Zusammengehörigkeitsgefühl, das sich auch im Alltagsleben widerspiegelte. Man hatte zusammen gearbeitet und gefeiert. Der Bergbau hatte die Laute zu einer Gemeinschaft werden lassen. Ähnlich war die Situation in der Mechernicher Bergstraße, die in den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts als Bergarbeiterkolonie gebaut worden war. Auch die dort wohnenden Familien waren zu einer Gemeinschaft herangewachsen, die durch die gemeinsame Arbeit im Bergbau entstanden war. Und viele wußten: Wenn „Spandau“ nicht mehr läuft, bricht auch die Gemeinschaft nach und nach auseinander. Als dann Silvester 1957 die letzte Schicht gefahren wurde, konnte mancher Bergmann, aber auch mancher Invalide zu Hause seine Tränen nicht zurückhalten. Eine fast 2000jährige Tradition war zu Ende gegangen.

Obwohl die GMW ihrer Belegschaft erst zum 1. 6. 1958 kündigte und vorerst noch ca. 600 Personen zur Demontage weiterbeschäftigte, galt es für die Arbeiterschaft, so schnell wie möglich neue Arbeitsplätze zu finden. Dies konnte aber zu der Zeit meist nur in entfernten Industrien geschehen. So bleiben nach einer Preussag-Statistik aus dem Jahre 1958 zufolge 202 Arbeiter in anderen Bergwerksbetrieben tätig. Die meisten pendelten ins Aachener Revier, einige zogen ins Ruhrgebiet und andere sogar in den Saarbergbau. Lediglich 54 Menschen fanden Arbeit im Mechernicher Raum, 75 im Kölner Raum, 35 hatten neue, der Preussag unbekannte Arbeitgeber und 13 wurden invalidisiert. 3 Insgesamt hatten also 430 ehemalige Belegschaftsmitglieder eine neue Tätigkeit gefunden, davon der größte Teil außerhalb von Mechernich. Zwar waren soziale Härten ausgeblieben, doch wirkten sich diese Abwanderungen nachteilig auf das Gemeindeleben aus, was sich wieder am Beispiel Strempt belegen läßt. Das überaus traditionsreiche Strempter Vereinsleben fiel nach der Stillegung in eine schwere Krise.


Hüttenarbeiter beim Schlackenabstich auf der Mechernicher Bleihütte

Viele Leute waren weggezogen. Die Pendler, die oft mehr als 12 Stunden von zu Hause weg waren, fanden keine Zeit mehr für ihre bisherigen Vereinstätigkeiten. So löste sich 1960/61 der Gesangverein auf, nachdem schon vorher der Theaterverein seine Proben einstellen mußte. 1959 ging zum ersten Mal seit dem Kriege kein Karnevalsumzug durch den Ort. Statt dessen trugen einige „übriggebliebene“ Karnevalisten einen schwarzen Sarg durch den Ort und begruben so symbolisch den Strempter Karneval. Erst 1962 gab es wieder die erste Karnavalsveranstaltung in Strempt, allerdings unter Beteiligung fremder Kräfte, was es vorher nie gegeben hatte. Der Rückgang im Vereinswesen ist aber nur ein Beispiel für die Auswirkungen der Stillegung. Auch so manches Geschäft im Lebensmittelbereich mußte schließen. Aber auch in vielen anderen Dingen mußten die Strempter jetzt umdenken. Früher war es selbstverständlich, daß die meisten Jungen nach der Schule gleich „aufs Bergwerk“ gingen. Es war nämlich für viele die einzige Möglichkeit, dort ihr Geld zu verdienen. Die Schulbildung war vielfach nicht so wichtig. „Der jeht doch op Spandau“ hieß es in manchen Familien. Durch die seit den 60er Jahren wachsende Industrie und Mobilität boten sich den Jugendlichen bald andere Berufschancen. So hatte die Stillegung auch ihre positive Seite für das ehemalige Bergarbeiterdorf.

Auch in der Bergstraße bedauerte man den Rückgang des Nachbarschaftswesens nach der Stillegung. Viele Familien machten zwar von dem Angebot der Preussag, die werkseigenen Häuser preisgünstig zu erwerben, Gebraucht, obwohl sie größtenteils gezwungen waren, auswärts zu arbeiten. War es früher üblich, Feste gemeinsam zu feiern oder einfach mal auf einen Schnaps zum Nachbarn zu gehen, so ging dieser Zusammenhalt nach 1957 vielfach zurück. Aber auch hier galt das gleiche wie für die Strempter - man wurde flexibler in der Berufswahl und war nicht mehr nur auf ein Industrieunternehmen angewiesen. Nicht nur im Alltagsleben der Bevölkerung änderte sich einiges, auch das Landschaftsbild Mechernich wurde durch die Demontage neu geprägt. Nach und nach verschwanden die Werksanlagen der GMW. 1961 wurde das Wahrzeichen Mechernichs, der 1884 erbaute und 134,6 m hohe Schornstein „langer Emil“ gesprengt. Er war nach dem ehemaligen Bergrat Emil Kreuser benannt worden. Nur noch der stark verfallene Fördertum des Personen- und Materialschachtes auf dem Schafberg, die durch unterirdischen Abbau entstandenen Bruchfelder und die durch Tagebaubetrieb geschaffenen Aufschlüsse sowie zahlreichen Abraumhalden erinnern heute noch an den Bergbau.


Aufspiel der Bergkapelle Mechernich unter Stabführung von Peter Krupp zum Bergfest

Um die bergmännischen Traditionen in Mechernich aufrechtzuerhalten, bildeten sich kurz nach der Stillegung zwei Vereine:


Die St.-Barbara-Bruderschaft

Traditionell veranstaltet sie am jeweiligen Sonntag nach dem 4. Dezember, dem Tag der heiligen Barbara, der Schutzpatronin der Bergleute, eine Barbarafeier, an der sich alle Vereine im Ort beteiligen, und zwar an der 1962 auf dem Schimmelsberg in Eigeninitiative gebauten Barbara-Kapelle. Die Bruderschaft hat auch eine Vitrine im Rathausnebengebäude aufgestellt mit Exponaten aus der Zeit des Bleierzabbaues.


Vereinigung der Berg- und Hüttenleute

Darüber hinaus gibt es noch die Vereinigung der Berg- und Hüttenleute, in deren Vereinsheim seit 1986 eine sich ständig vergrößernde Dauerausstellung zu sehen ist. In diesen Räumen probt auch die Bergkapelle.

Die Bundeswehr, die zum 11. Mai 1959 in Mechernich ansässig wurde, stellte eine große Zahl ehemaliger „Spandäuer“ ein. Seit Mitte der 60er Jahre begann sich mehr und mehr neue Industrie im Raum Mechernich anzusiedeln, wodurch auch ehemalige Bergarbeiter wieder Arbeit fanden.

Viele haben in ihren späteren Berufen nach der Stillegung bessere und auch besser bezahlte Arbeit bekommen. Aber die meisten erzählen, ihr Berufsleben resümierend, am liebsten von der „Ahnmaach“ (Kaffeepause), vom „Bärmüser“ (Korn mit Bärwurz) oder vom „Mittezoch“ (Werksbahn, u.a. für den Transport von Mittagessen eingesetzt) - eben von „Spandau“. Dieser Name soll übrigens von Arbeitern aus Berlin stammen - er ist bis heute im Sprachgebrauch üblich.


Einführende Literatur:

Abel, Karl: Der Mechernicher Erzbergbau. In: Heimatkalender Kreis Schleiden, 1954, S. 61-70
Ehring, Franz: Am Mechernicher Bleiberg ruht der Betrieb. In Heimatkalender Kreis Schleiden, 1959, S. 50-55
GMW: Die Gewerkschaft Mechernicher Werke in der Nachkriegszeit, ein Bericht der Werkleitung. In: Heimatkalender Kreis Schleiden 1951, S. 46-48
Imle, Fanny: Der Bleibergbau von Mechernich in der Voreifel eine wirtschafts- und sozialpolitische Studie - Jena, 1909
Die Schicht: Werkszeitung der Preussag Nr. 4/1957, 1/1958, 2/1958
Schmitz, Hans: Chancen für die Blei-Zinkerzlagerstätten von Mechernich/Eifel? In: Der Bergbau Nr. 9/75, S. 242-254
Bildmaterial (H:Naumahn) aus den Privatarchiven von Josef Richter und Ernst Schoddel.

Quelle: Kreis Euskirchen Jahrbuch 1988

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