Euskirchens Tuchmacher und ihre Arbeiter


Von Heinz Küpper



VII. Die Militärtuchlieferungen


Ihre Bedeutsamkeit in der Stadt

Der vierte Umstand mag zunächst befremden, aber wir sahen schon, was die Militärtuchaufträge für die kleineren Euskirchener Tuchmacher bedeuten. Wie für den Beginn der eigentlichen Euskirchener Tuchmacherei aus der Kriegszeit bis 1816, gibt es für diesen zweiten großen Aufschwung, für das Jahr 1852 mit seinen Militäraufträgen, eine zweite, noch hübschere Anekdote, die wiederum den Eindruck, den die Dinge machten, bezeugt.

Im Revolutionsjahre 1848 habe der Euskirchener Tuchmacher Peter Jos. Dick in Berlin bei der Garde gedient, zwar als ein braver Soldat, aber eines Abends sei er in äußerst folgenreicher Weise aufgefallen. Gedankenlos und allein habe er am Fenster seiner Stube gesessen und dazu ein derzeit landläufiges revolutionäres Liedchen teils vor sich hingebrummt und teils gepfiffen, ganz ohne argen Sinn, nur weil es ihm gerade in den Ohren hing. Zu seinem Unglück oder, wie wir bald wissen werden, zu seinem Glück sei aber zur gleichen Zeit niemand Geringerer als der Prinz Wilhelm, der nachmalige König und Kaiser, über den Kasernenhof geschritten und habe dieses Liedchen aus dem Munde eines Gardesoldaten mitanhören müssen. Sogleich habe er diesen zu sich beordert und zur Rede gestellt.

Unser Tuchmacher aber, der ein aufgeweckter Kopf gewesen sei, habe sein eigenes sträfliches Tun ihn bewegten und bewegenden Worten unnachsichtig verdammt, und als der Prinz, der nachmalige König und Kaiser, von ihm verlangt habe, das Lied noch einmal lückenlos vorzutragen, sich standhaft geweigert, um nicht bei hellem Bewußtsein die antimonarchistischen Parolen über die patriotischen Lippen bringen zu müssen und Wilhelm habe sich nicht anders zu helfen gewußt, als mit der nachmals klassisch gewordenen Formel des „dienstlichen Befehls“, demzufolge nun der Dick mit preußischer Akkuranz das Lied zu Gehör gebracht habe. Dann habe es ihm ein paar Tage Bau eingebracht, aber zugleich habe der Prinz, dem der rheinische Tonfall wohl gefallen haben mag, ihn nach Stand und Heimat befragt und ihm gleichzeitig angeboten, wenn immer er sich in seinem Leben in Not befinde, sich an ihn, den Prinzen und nachmaligen König zu wenden und zum Zeichen seiner besonderen Gunst habe er ihm eine große Tischdecke geschenkt, auf de sein hoheitliches Bildnis groß und bunt aufgedruckt war.

Diese Decke hingen Peter Josef Dick und seine Nachfahren bei patriotischen Festen immer zum Fenster hinaus, und Herr Bäckermeister und Heimatforscher Rich. Krämer, der die Geschichte berichtet, hat sie noch oft gesehen. Der letzte Krieg hat auch sie vernichtet. Unser Tuchmacher aber, der, in die Heimat zurückgekehrt, seine Hellköpfigkeit bewahrte, habe sehr bald an den Prinzen geschrieben, und so sei 1852 der erste Militärauftrag in die Stadt gelangt, dem bald ein ganzer Schwall folgte, womit wir wieder auf dem Boden unserer Untersuchung zu stehen kommen. Schaut man heute, nach über hundert Jahren, in die Euskirchener Tuchfabriken hinein, so wird man sagen dürfen, daß unser Tuchmacher damals sein aufsässiges Liedchen zum Wohl der ganzen Stadt wie auch der umliegenden Ortschaften gepfiffen hat.

Nicht nur die kleineren Werkstätten, auch die größeren Euskirchener Fabrikanten richteten sich nach 1852 immer mehr auf die Herstellung von Uniformtuchen für die preußische und später für die deutsche Armee. Darüber hinaus lieferten sie Uniformtuch nach zahlreichen europäischen und überseeischen Ländern (vgl. Renelt S. 71) und produzierten schließlich auch weitgehend Behörden- und Trachtentuch. Doch der Hauptkunde blieb die preußische bzw. deutsche Armee.

Das hatte nun für die allgemeine Wirtschaftslage der Euskirchener Tuchindustrie die Folge, daß ihre Konjunktur oft derjenigen der Ziviltuchindustrie genau entgegengesetzt verlief, d.h. vor und in den Kriegen produzierten die Euskirchener Tuchmacher mit größter Kraft und nach den Kriegen lagen sie nahezu still oder versuchten, einen zivilen Markt zu gewinnen. Doch uns interessieren hier mehr die unmittelbaren Einwirkungen auf die Betriebsverfassung.


Die Bedeutung für die innerbetriebliche Menschenordnung

Die erste kann man schon aus dem oben zitierten Bericht des Bürgermeisters von 1861 ablesen. Dort hieß es ja, der Fabrikant habe sich hauptsächlich zu kümmern
1. um den Einkauf feinster Wolle,
2. um die Anschaffung modernster Maschinen.
An den Absatz der Tuche, der ja schließlich auch Sache der Fabrikanten ist, hatte der Bürgermeister gar nicht gedacht. Dieser Absatz der Tuche war in der Tat meistens gesichert, so daß die Euskirchener Fabrikanten sich nicht allzu sehr um die geschäftliche Seite ihres Unternehmens zu bemühen brauchten, sondern fast ungeteilt sich dem Betrieb widmen konnten. Sie brauchten überhaupt keine Verkaufsabteilung, so kommt es, daß in den Euskirchener Tuchfabriken Kontore bis zum ersten Weltkrieg, ja noch länger, nur in Andeutungen vorhanden waren, und auch heute noch die Büros keineswegs sehr groß sind.

Der Betrieb selbst stand unter der direkten Leitung des Inhabers, der darum die Kompetenzen der Meister und Vorarbeiter und der später hinzukommenden leitenden Angestellten nicht scharf nach oben und unten abzugrenzen brauchte, was sich ebenfalls bis heute auswirkt. Ferner blieb die Herstellung des Militärtuchs durch die Jahrzehnte hindurch gleich, so daß eine sehr große technische Beweglichkeit und ein Stab von durchgebildeten, wendigen Fachleuten wie bei der von der zivilen Modelaunen abhängigen Nouveautéindustrie zunächst nicht erforderlich war. Daher rekrutierten sich z.B. die Meister noch lange ohne weiteres aus der Arbeiterschaft der Betriebe.

Nun war aber anderseits die preußische Armee eine sehr akkurate Kundin, die ihren Lieferanten nichts schenkte, bei billigstem Preis auf erstrangiger Qualität bestand. Man vergleiche dazu, was Beutin im Festbuch der Stadt Euskirchen (S. 289) schreibt. Es gibt in den Akten zahlreiche Listen (Stadtarchiv A. 423 u. a.m.), in denen der Intendantur über den Maschinenbestand der Industrie berichtet wird. So durften die Euskirchener Tuchmacher keineswegs den Anschluß bei der fortschreitenden Mechanisierung ihres Gewerbes verlieren, aber sie konnten doch mit Bedacht vorgehen und selbst mit ihren Arbeitern im Betrieb hantieren und alles ausprobieren. Sie blieben bei allem Aufschwung immer noch mehr Tuchmacher innerhalb ihrer Fabriken, als daß sie ausgesprochen kaufmännische Unternehmen geworden wären.


VIII. Die Technisierung der Betriebe

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Entnommen: Heimatkalender für den Kreis Euskirchen 1955


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