Dürener Zeitung v. 1.2.50

In den Ruinen der Zitadelle


Jülich, gelegen im Mittelpunkt des gewaltigen Wirtschaftsdreiecks Köln-Aachen-Düsseldorf, ist die Stadt der Superlative. Sonst bekannt als das Herz des riesigen Herzogtums Jülich-Cleve Berg, „dem zum Königreich nur der Name fehlte“, gilt die Stadt heute als die meistzerstörte Europas. In ihren Mauern barg sie ein mächtiges Festungswerk, die Zitadelle mit einem herrlichen Schloß, von dem Daniel Specklin, der Festungsbaumeister von Straßburg einst gesagt hat, es sei ein wunderköstlicher Bau. Das Jülicher Schloß ist selbst in seinen Festen das bedeutendste und vornehmste Bauwerk italienischer Hochrenaissance auf deutschem Boden. Jülich ist wahrscheinlich der Ausgangspunkt für die italienische Dichtung geworden, die in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts die Profanbauten des Niederrheins annahmen.

Als die Festung Jülich im Jahre 1860 geschleift wurde, hatte die Zitadelle damit jede militärische Bedeutung verloren, nachdem sie dreieinhalb Jahrhunderte der Verteidigung des Herzogtums gedient hatte. Nun war sie noch ein hervorragendes Baudenkmal, galt sie doch ehedem als die modernste und größte Festungsanlage des europäischen Westens. Nach der Schleifung der Festungsmauern entwickelte sich die mittelalterliche Stadt mit ihren breiten und durchweg gradlinigen Straßen, die der Bolognese Alessandro Pasqualini nach dem großen Stadtbrande im Jahre 1547 anlegen ließ, zur modernen Kreisstadt des fruchtbaren Jülicher Landes.

Im letzten Weltkrieg stand die friedliche Kreisstadt längere Zeit im Mittelpunkt des Kriegsgeschehens. Nachdem sie am 16. November 1944 gleichzeitig mit Düren in einem Angriff amerikanischer Bomber ziemlich niedergewalzt worden war, standen sich beiderseits der Rur die Fronten mehrere Monate gegenüber. Stalingrad, Monte Cassino, die französische Küstenlandschaft der Normandie und die Rurfront mit dem Hürtgenwald sind Kriegsschauplätze, von denen die Welt sprach.




Nun ist es still geworden um die Jülicher Zitadelle. Mitten im Herzen der langsam sich erhebenden Stadt liegt sie als eine fromme Ruine mit tiefen, versumpften Gräben und abgebrochenen Baumkronen auf den hohen Wällen. Abgeschlossen von der Welt da draußen führt sie ein vergessenes Trümmerdasein. Nur hier und dort haben sich einige Bürger der Stadt in den Bauten des ehemaligen Schlosses inmitten der Zitadelle eine Notbehausung eingerichtet, umgeben von den stummen Zeugen der großen Zeit. Und drüben in der Nordwestecke hört man hin und wieder das Sägen und Hämmern einer Schreinerei.

Wenn man hoch oben auf der Wallkrone steht und über die mehr als 9 Hektar große Festungsanlage hinwegschaut, muß man sich fragen: „Was soll mit dieser gewaltigen Anlage geschehen? Ist sie wirklich nicht wert, daß man versucht, sie der Allgemeinheit nutzbar zu machen und wirtschaftlich zu erschließen?“ Fürwahr, sie ist viel mehr als ein nutzloses Festungswerk! Sie ist auch heute noch mit den meist nur ausgebrannten Ruinen des ehemaligen Schlosses, mit ihren teilweise mehrere Meter dicken Mauern ein hervorragendes Baudenkmal italienischer Hochrenaissance. Vornehmlich die Schloßkapelle als beherrschender Teil der ganzen Anlage ist in ihren Außenfronten verhältnismäßig gut erhalten. Aber bei der großen wirtschaftlichen Not unseres Landes wird es wohl kaum möglich sein, die Zitadelle und vor allem das herzogliche Schloß als Baudenkmal zu erhalten. Hierzu würden Millionen benötigt.

Anderseits birgt die Zitadelle noch ungeahnte wirtschaftliche Werte in ihren Mauern. Unter die ganze Schloßanlage hin ziehen sich riesige Tonnengewölbe, die vollkommen unbeschädigt sind. Die drei gewaltigen Schloßflügel lassen sich mit verhältnismäßig geringen Mitteln als Wirtschaftsgebäude wieder herrichten, da die Außenmauern in fast allen Fällen noch erhalten sind. Die weiten und zahlreichen Gänge und Hallen in dem großen Bauwerk und die riesigen Kasematten liegen ungenutzt. Sie enthalten Tausende Quadratmeter geschützten Lagerraumes. Dazu treten große freie Flächen und zahlreiche Nebengebäude an der Innenseite des geschützten Walles, die meist nur ausbrannten. Die Fläche der Zitadelle ist so groß, daß man den Kölner Dom vielmals auf ihr bauen könnte. Und diese Fläche ist fast in ihrer ganzen Größe mit weiten Hallen, Gängen und Gewölben durchzogen. Sollte es wirklich nicht möglich sein, hierfür eine nutzbringende Verwendung zu finden? Würden sich zum Beispiel die riesigen, tiefen und kühlen Tonnengewölbe nicht für eine Bierbrauerei größten Formats eignen, zumal eine gewaltige Brunnenanlage vorhanden ist? Oder könnte anderseits dieses Werk nicht als Klosterbau, als Sanatorium oder Heilanstalt nutzbar gemacht werden? Die weiträumigen Freiflächen, die breiten Wälle ließen sich leicht als Park- und Grünanlagen und die acht bis zehn Meter tiefer liegenden Freiflächen des Innenwerks als Gartenanlagen oder Obstkulturen herrichten. Auch heute noch ist die Zitadelle mit den alten Baumgruppen und dem wild wuchernden Efeu von romantischer Schönheit umgeben, die schon der Jülicher Landschaftsmaler Johann Wilhelm Schirmer in seiner Selbstbiographie so treffend zu schildern wußte. Die Zitadelle ist wert, daß man sich ernstlich fragt: Was geschieht mit ihr? Ohne Zweifel eine Frage, die die Öffentlichkeit angeht, und die nicht ungehört verhallen sollte! Große wirtschaftliche Werte liegen hier ungenutzt. Wir haben einen Krieg verloren und müssen darauf sehen, daß Werte von solcher Größe auch ihren wirtschaftlichen Nutzen bringen.

E.L.

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