Aachener Volkszeitung vom 21. Oktober 1949

Rübenzucker aus dem Jülicher Land

Ein Gang durch die Zuckerfabrik Ameln

„Hier ist es aber ganz schön warm!“ „Es kommt noch besser, antwortet der technische Betriebsleiter. Er führt uns durch die weiträumige Anlage der Zuckerfabrik. Von der angefahrenen „Knolle“ über Dünn- und Dick-Saft bis zum fertigen Zucker, wird uns der Fabrikationsgang erklärt.

Auf mehreren Waagen wird das Gewicht der angelieferten Rüben, die zum größten Teil per Fuhre und zu einem geringen Prozentsatz in Waggons ankommen, festgestellt. Auf ca. 40-45.000 Zentner beläuft sich die tägliche Anfuhr. In der kurzen Zeit, seitdem die „Kampagne“ angelaufen ist, sind außer den bereits verarbeiteten, soviel Rüben angeliefert worden, daß eine acht Meter hohe, über 100 Meter lange Miete aufgestapelt werden mußte.

Mit Wasserdruck werden die Rüben in die Fabrik geschwemmt und kommen in die „Wäsche“. Hier ist ein unbeschreibliches Getöse. Bruchstücke von Rüben und Schwänze (die im übrigen auch noch verwertet werden) fliegen umher. Wenn die Rüben in immer nachfließendem Wasser hin- und hergerüttelt, geworfen und gestoßen worden sind, gehen sie von dem tief gelegenen Waschraum mit Elevatoren zur automatischen Waage hoch, die sich selbsttätig mit 1000 kg Rüben füllt und - elektrisch gesteuert - in bestimmten Abständen die Rüben in die Schneidemaschine fallen läßt. Drei Treppen muß man steigen, um zu der Waage zu kommen. Auf jeder Stufe wird es wärmer. Oben wird ohne Hemd gearbeitet. „Wir sind dauernd naß“, sagt uns ein Arbeiter. Erst wenn es draußen kalt ist, ist hier drinnen ein angenehmes Arbeiten.

Der erste Divusionsturm der Welt

Die Rübenschnitzel werden mit heißem Wasser ausgelaugt. Augenblicklich wendet man in Ameln zwei Verfahren an. Einmal werden die Schnitzel nach alter Art in große Gefäße gefüllt, die batterieweise aufgestellt und als „Divusion“ bezeichnet werden. Das Divusieren, der Auslaugeprozeß, ist aber umständlich und zeitraubend. In Form eines „Divusionsturmes“ hat die Technik eine Neuerung gebracht. Zwei auf kurzem Abstand nebeneinanderstehende zylinderförmige, hohe Behälter, die unten verbunden sind, beherbergen in ihrem Innern schneckenähnliche Vorrichtungen und - ein Geheimnis. Der „Divusionsturm“ ist der erste seiner Art auf der ganzen Welt und hier in Ameln zum ersten Male in Betrieb. Sein Aufbau, so berichtet uns der technische Direktor, hat Fachleute des In- und Auslandes interessiert. Aus allen Ländern kamen sie und wollten das technische Wunder sehen. Soviel wir erfahren konnten, arbeitet man weit fortschrittlicher damit als mit den alten Divusionsbehältern, die jetzt auch nur noch mit Resten, die der neue Moloch nicht verschlingt, gespeist werden.

Beim Auslaugen werden Schnitzel und Saft voneinander getrennt. Die Schnitzel werden als Nebenprodukt - Naßschnitzel - oder in der Trocknung verarbeitet, Trockenschnitzel - abgesetzt. Der ausgelaugte Rübensaft geht einen anderen Weg.

Dicksaft ist fünfmal dicker als Dünnsaft

Kohlensäure, die im Kalkofen aus Kalkstein und Koks erzeugt und von dort mittels Luftpumpen abgesogen wird, wird dem Saft zugeführt und bindet die zuckerfremden Stoffe. Diesen Vorgang nennt man Satorieren. Durch Filter geschleust bleiben die gebundenen Fremdstoffe in den Filtertüchern zurück und der Saft ist zum größten Teil „rein“. Er wird jedoch nochmal satoriert und gefiltert. Dann wird er - Dünnsaft genannt - zur Dampfstation gepumpt. (Die Fortbewegung des Saftes geschieht immer durch Pumpen.) Hier stehen, wie auch in der Satration, riesige Behälter, in denen das Wasser verdampft und der Saft dick wird. Der Verdampfungsprozeß wiederholt sich mehrere Male. Der Saft wird jedes Mal dicker. Dicksaft ist fünfmal „dicker“ als Dünnsaft. Der Weg des Dicksaftes endlich führt ins „Zuckerhaus“. Es ist besonders hoch gebaut und erhebt sich über allen anderen Hallen. Der Zutritt ist nur den hier Beschäftigten gestattet.

Im Zuckerhaus müssen wir mehrere Stockwerke hoch klettern, um zur „Kochstation“ zu kommen, der höchsten aller Abteilungen. Auch hier stehen wieder riesige mit dicker Isolierung umhüllte Behälter. Sie sind jedoch im Gegensatz zu den anderen Stationen nicht untereinander verbunden. Sie sind luftleer und fassen rund 1300 Ztr. Saft. Bis zu zwei Drittel können sie jedoch nur gefüllt werden. Der Rest muß leer - luftleer bleiben. Die Luftleere ermöglicht es, daß der Saft schon unter 100 Grad C. Zum Kochen kommt. Er kristallisiert beim Kochen. Was bis jetzt noch dickflüssig ist, nimmt feste Formen an. „Das Kochen muß verstanden sein“, erklärt uns der Meister und zeigt uns verschiedene Proben. In „Maischen“ abgelassen wird die Masse auf 40 Grad C. Abgekühlt, um in Zentrifugen geschleudert zu werden, wodurch die die Kristalle noch gebende Flüssigkeit abgeschleudert wird. Diese wird noch einmal gekocht und später wieder geschleudert, damit wenig Zucker in der Melasse, die als Nichtzucker zuletzt übrigbleibt, verlorengeht. Melasse findet in Brennereien, Hefefabriken und als Beigabe zu Futterschnitzel Verwendung.

Rübenernte - besonders ertragreich

Mit dem Schleudern ist der Rohzucker fertig. Er wird eingesackt und verladen. Raffineriert, d.h. von jedem Fremdkörper geläutert, wird der Rohzucker in einem anderen Betrieb der Firma Pfeifer und Langen. Ihr gehören neben der Amelner Zuckerfabrik im weiteren Umkreis noch mehrere andere Zuckerfabriken. In der Raffinerie entsteht der reine weiße Zucker. Der in Ameln hergestellte Rohzucker ist in seinen Kristallen auch weiß, nur sind diese noch von einer Masse Fremdkörper umgeben, die durch den Dampf und weiteres Schleudern entfernt werden. -

Interessant ist, daß die Amelner Zuckerfabrik die benötigte elektrische Energie selbst mit Hilfe von Dampfmaschinen und Aggregaten erzeugt und sich mit den benötigten großen Mengen Wasser selbst versorgt. Das Wasser wird aus eigenen Brunnen gepumpt und fließt verbraucht in eine großangelegte Kläranlage und von da wieder in den Betrieb, wo es unter Zusatz von frischem Wasser wieder verwandt wird. -

Zum Schluß durften wir einen Blick in das Betriebslaboratorium und durch ein Okular tun. Mit einem Stab von Chemikerinnen, Laborantinnen und Hilfskräften (Spülfrauen und „Probe“-Jungen) überwacht hier ein Direktor der Chemie ständig den Zuckergehalt der einzelnen Flüssigkeiten, der Rüben und der Schnitzel. Stündlich wird über die Ergebnisse der Untersuchungen Buch geführt. Mit einem optischen Untersuchungsgerät kann ohne weiteres der Zuckergehalt der jeweiligen Probe, die nur ein bestimmtes Gewicht haben darf, festgestellt werden.

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