Dürener Trümmer als „Exportartikel“
Aachener Volkszeitung vom 10.9.49


Die Hälfte des Schutts ist geräumt - Kakaobraune „Sandwüste“ auf der Kippe - 60 Postwohnungen aus Trümmersplit

(BS) - Düren, 9. Sept. - Etwa die Hälfte des gesamten Dürener Schuttberges, der damals, als die Stadtväter den Entschluß einer großzügigen Entschuttung faßten, auf fast eine Million Kubikmeter geschätzt wurde, ist in den vergangenen Jahren in unermüdlicher Arbeit mit Tausenden von Lorenzügen auf die Schuttkippen vor die Tore der Stadt gefahren worden. Nach Ansicht der Fachleute werden noch zwei bis drei Jahre vergehen, bis die Bagger und Greifer den letzten Schutt auf die letzte Trümmerbahn geladen und über das Sortierband geschickt haben. Gerade das Sortierband aber und die anderen Trümmerverwertungsanlagen der Firma Milke sind es, die 50 v. H. des gesamten Dürener Schutts wieder zu vollwertigen Bauelementen verarbeiten. Ein Gewinn, um den die meisten der ausgebombten Städte die Stadt Düren beneiden. Der Beweis dafür sind die Hunderte von Lastwagen aus dem umliegenden Städten, aus Aachen, Köln, Wuppertal, Bonn und Euskirchen, die täglich über 50 v. H. des Materials der Dürener Trümmerverwertung nach auswärts „exportieren“.


Ergänzungsfoto: Schuttberge Oberstraße Düren
Original: Fritz Gaspers 1947
Sammlung Stadtarchiv Düren

Die Schafe von den Böcken

Prustend und schnaubend rattern die kleinen Schuttbahnen, die zum Leidwesen der Kraftfahrer schon zur Physiognomie der Stadt Düren gehören, die kläglichen Reste der einst so stolzen Bauwerke und verträumten Straßenzüge gegen Süden, wo an der Nippesstraße wie ein ewiges gefräßiges Ungeheuer das Sortierband allen Schutt aufnimmt, um die „Schafe von den Böcken zu trennen“. Alles noch Brauchbare wie Metallteile, ganze Ziegelsteine, Holz und vieles andere wird ausgesondert. Was übrig bleibt, ist richtiger „Schutt“ mit dem hinter der zerbombten Garnbleiche in der Weberstraße ein 60.000 qm großes Industriegelände an der Rur bis zu 1,5 m aufgeschüttet wird.

Hier ist im wahrsten Sinne des Wortes „das Grab der Stadt“, in dem neben vielen Häuserresten so manche Hoffnungen und Sehnsüchte der Dürener „eingeebnet“ werden. Unaufhörlich wird Lore neben Lore gekippt und das Ufer der Rur erhält ein anderes Gesicht. Die „brauchbaren“ Ziegelstücke aber nehmen die herbstlichen Schrebergärten an der Nideggener Straße den Weg zur „Kippe“ auf dem Wibbelrusch. Mitten in der idyllischen Ruhe des Dürener Stadtwaldes schnaubt und rattert hier das harte Lied der Arbeit. Eine Kolonne kakaobraun verstaubter Arbeiter bedient in der brütenden Sonne Ziegelmühlen, Bagger, Schwingbeton- und Splitsteinmaschinen. Aus Trümmerbrocken werden in unermüdlich harter Arbeit Bauelemente, nötig zum Aufbau der gemarterten Stadt. Ist die Garnbleiche das traurige Grab Dürens, so kann man ohne Übertreibung die Kippe als ihre Geburtsstätte bezeichnen.

Unablässig klingelt das Telefon

Wie vielfältig der Verwendungszweck der Dürener Trümmer ist, zeigt erst ein Rundgang durch die Hallen und zwischen den Maschinen der Kippe. Der knöcheltiefe Ziegelstaub, der bei jedem Schritt wie eine braune Wolke aufwirbeln wird, mutet wie eine von der Sonne verbrannte Sandwüste an. Er senkt sich von der Prallmühle, die mit lautem Getöse die Ziegelsteine mahlt, unablässig auf den weiten Platz und macht das Atmen zur Beschwerde. Tag und Nacht werden 160 cbm Material in vier verschiedene Körnungen zerkleinert. Acht bis zehn Eisenbahnwaggons täglich verlassen in kleinen Schaufelbaggern das tösende Gerät. Gleich daneben wartet ein großer Greifer, mit seinem riesigen Maul. Lastkraftwagen auf Lastkraftwagen zu beladen, die den Ziegelsplit an weit entfernte Baustellen fahren.

Unablässig klingt das Telefon, die Bestellungen auswärtiger Firmen entgegenzunehmen, die das Material für ihre Schüttbetonbauten sehr schätzen. Nur ein kleiner Teil der Aufträge kann erfüllt werden. Der Rest des Ziegelsplits wandert in die Steinmaschinen der Firma, die nach einem eigenen Verfahren Ziegelsplitsteine, Hohlblocksteine, Fensterstürze und ganze Deckenzüge herstellt. Auf vielen hundert Meter langen Zementbahnen stehen Tausende von Bausteinen, die zuerst acht Tage an der Luft trocknen müssen, ehe sie der Maurer zum Bau neuer Häuser aufeinanderschichtet.


Ergänzungsfoto: Trümmersortieranlage am Jesuitenhof - 17. 10. 1949
Foto: Ellen Homann
Sammlung Stadtarchiv Düren

In „Trümmern“ läßt sich wohnen

Es mag wie eine Blasphemie klingen und doch ist es freudige Wahrheit. Weit ab vom regen Baubetrieb des Stadtzentrums, das in den letzten Wochen die neuen Häuser wie Pilze aus der Erde schießen sieht, entstehen am östlichen Stadtrand in der Girbelsrather Straß, von wenigen bemerkt, fünf große Wohnblocks mit 60 Wohnungen im Rohbau fast ausschließlich aus den Trümmern der zerstörten Stadt. Die „Gemeinnützige Post- und Heimstättensiedlung“ ist es, die als erster Bauherr in Düren auf „heimisches Baumaterial“, eben unsere kaum abzutragenden Trümmerberge, zurückgreift. Innerhalb weniger Tage haben 60 Arbeiter die Mauern der Wohnblocks erstehen lassen.

Zehn schwere Lastwagen Ziegelsplit werden in den Mischmaschinen täglich mit einem Zementzusatz auf die richtige Mischung gebracht und die Drahtschalungen, die wie riesige Zäune des werdende Haus umgeben, ausgegossen. Schon nach 24 Stunden steht die Hauswand, die die Wärmedämmung und Druckstärke einers 38iger Ziegelsteinmauerwerks hat. Keiner von denen, die in kurzer Zeit in diesen Häusern wohnen werden und niemand der Vorübergehenden, die mit Genugtuung die Mauern steigen sehen, wird das kleine Wunder ermessen, daß in des Wortes realster Bedeutung dieses neue Leben aus Ruinen und Trümmern blüht.



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