Euskirchens Wirtschaft im 19. und 20. Jahrhundert


Von Ludwig Beutin


Der 1. Weltkrieg und die Währungsreform


Mit dem Jahre 1914 kam über uns Deutsche die Zeit der Katastrophen. Damals endete der ruhige, stetige Aufstieg eines Jahrhunderts, an seine Stelle trat eine Abfolge von Perioden der Kriegswirtschaft, der Erholung, des abermaligen Abstieges. Der erste Weltkrieg brachte jene Erscheinungen, die von einer Kriegswirtschaft unzertrennlich sind: die Erzeugung wird ganz auf die Bedürfnisse der Heere gelenkt. Die Tuchindustrie bedurfte bei ihrer Spezialisation keiner Umstellung, sie nutzte ihre Knappheit bis zu der durch die Rohstoffknappheit gegebenen Grenze aus, während der Kriegsjahre stellte sie 11,4 Millionen Meter Tuch für die Militärverwaltung her. Die Metall- und die keramische Industrie wurden in die Erzeugung von Munition und Geräten eingeschaltet. Im Kriege ändern sich die Gesichtspunkte, nach denen die Produktion vor sich geht, vollkommen. Es kommt nicht mehr auf Wirtschaftlichkeit an, sondern darauf, unter allen, auch den womöglich schlechtesten marktwirtschaftlichen Bedingungen zu produzieren. Nicht mehr der Kaufmann leitet, er wird zum ausführenden, höchstens verteilenden Organ der staatlichen Mächte. Die Kriegskonjunktur, die finanziert wird durch Geldschöpfung, durch Inflation, läßt die Produktion auf manchen Gebieten hochschnellen, erstickt sie auf vielen andern, bringt Geld unter die Leute - das sich stets als ein fragwürdiger Reichtum erweist. Das Handwerk kommt, sofern es nicht zu Kriegslieferungen herangezogen wird, aus Materialmangel fast ganz zum Erliegen, der Kaufmann des Einzelhandels wird zum bloßen Verteiler von Ware, die zumeist Mangelware ist.

So kam denn die Probe auf die innere Stärke erst nach dem Kriege. Die Niederlage brachte uns lange Jahre der Besatzung, an den Tiefpunkten der Geschichte Trennung vom Wirtschaftskörper des Deutschen Reiches, die Inflation. Das alles ist kaum voneinander zu trennen. Bemerkenswert ist, daß in der ersten Nachkriegszeit die Industrie gut beschäftigt war. Es gab wohl Sorgen um die Unterbringung der heimkehrenden Soldaten, aber sie wurden bewältigt. Der Nachholbedarf vor allem auch auf dem Bekleidungsgebiet war übergroß. Es gelang dem Außenhandel, recht bald die Rohstoffe hereinzubringen. Ein reger Export setzte ein, es ist überliefert, daß die Euskirchener Industrie reichlich mit Aufträgen aus dem Ausland versehen war und eben deswegen bald selbst Rohstoffe einkaufen konnte.

Aber der schwache Punkt war die Währung. Der Export war deswegen so groß, weil infolge der Inflation ein gewaltiges Preisdumping stattfand. Die deutschen Erzeugnisse waren auf dem Weltmarkte sehr billig, weil die Arbeit mit schlechtem Papiergeld bezahlt wurde. Man erinnert sich noch der Notgeldserien der schlimmsten Zeit. Und wenn zunächst auch die Räder liefern, die Arbeiter an den Maschinen standen, so war das alles im Ergebnis ein entsetzlicher Ausverkauf an den letzten Werten und vor allem an Arbeitskraft. Euskirchen erlebte das Ende dieser auszehrenden Konjunktur wie das ganze Rheinland schon vor dem eigentlichen Abschluß der Inflation, als die Besetzung des Ruhrgebiets, die dabei gezogene Zollgrenze zwischen dem besetzten und dem unbesetzten Gebiet den Absatzmarkt ebenso wie den der Rohstoffe in zwei Teile spaltete. Die Eisenbahn war beschlagnahmt, das gesamte Leben stockte, fast alle Industriebetriebe mußten schließen. Die Lasten, die die Stadt infolge der allgemeinen Arbeitslosigkeit zu tragen hatte, wurden unerträglich hoch, sie mußte Hilfe von Preußen und dem Reich in Anspruch nehmen. Es war ein Jahr der Qualen für jedermann, jenes Jahr 1923, das der großen Inflation. Das Ergebnis senkte sich tief in das Gedächtnis der Menschen ein.

Es kamen andere Zeiten. Wenn wir etwas aus der Geschichte lernen können, dann vielleicht zunächst diese sehr einfache Tatsache, daß selbst aus Zuständen, die anscheinend nur noch die Verzweiflung übrig lassen, sich ein Ausweg findet. Aber sie lehrt auch, daß in den Menschen - und wir dürfen nach den Erlebnissen dreier Jahrzehnte sagen: in den Deutschen deine unbesiegbare Bereitschaft zum Schaffen liegt. Unverdrossen gehen sie daran, neu zu erbauen, was zerstört wurde. Das ist für jene Jahre bildlich zu nehmen, denn ihr Vorteil war immerhin, daß die politischen Einheiten nach den Wirren der Besatzungszeit doch standen und daß trotz der weitgehenden Abnutzung und Überalterung der Maschinen der Produktionsapparat heil blieb.


Die Entwicklung der Wirtschaft


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Entnommen: „650 Jahre - Stadt Euskirchen, 1302 - 1952, Festschrift zum Stadtjubiläum, 1952, Euskirchen


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