Mit Volldampf durch den Kreis - 150 Jahre Eisenbahn - Teil 6



Von der „Bende Streuv“ und dem „Johännche“
Kölner Stadtanzeiger vom 20.12.1985

Episoden aus der Zeit der Kreisbahn - Die Lok ohne Führer

Von Helmut Weingarten


Eine Zeichnung des erweiterten Kreisbahnhofs der Bergheimer Kreisbahn zu Beginn dieses Jahrhunderts in Horrem. Horrem war ein wichtiger Umsteigeplatz zur Staatsbahn Köln-Aachen.

Im letzten Drittel des vorigen Jahrhunderts wurde das Eisenbahnnetz im Rhein/Ruhr-Gebiet verdichtet wie in keiner anderen Gegend Deutschlands. Das traf auch für die früheren Kreise Bergheim und Euskirchen zu. Im Landkreis Köln übte man noch Zurückhaltung. Eine Ausnahme bildete lediglich die Frechener Bahn, die den Betrieb nach Köln aufnahm.

Die Bevölkerung begrüßte die Kleinbahnen überall, boten sie doch bequemere Fahrtmöglichkeiten in die benachbarten Städte. Zwischen den einzelnen Bahngesellschaften bestand schon ein Verbundsystem, so daß man auch entfernte Ziele leichter erreichen konnte, obwohl man häufig umsteigen mußte.

Sehr bald fand der Volksmund Namen für die einzelnen Züge und Verbindungen. Da gab es die „Bende Streuv“, die Linie Horrem-Götzenkirchen-Mödrath-Türnich-Balkhausen-Brüggen-Liblar, die entlang dem Villerücken die genannten Orte verband und Anschluß an die Staatsbahnlinien in Horrem und Liblar hatte. Für die von Bedburg nach Ameln führende Bahn prägte sich sehr bald die Bezeichnung „Amelner Johännche“ oder auch kurz „Johännchen“ ein.

Von dieser im Jahre 1953 stillgelegten Strecke kursiert noch eine nette und sogar „wahre“ Geschichte. Vermutlich im Jahre 1928, als man gerade eine neue Lokomotive erprobte, machte sich diese führerlos selbständig. Durch einen Bedienungsfehler - oder richtiger eine Unterlassung - setzte sich die Lokomotive plötzlich von Bedburg aus in Richtung Ameln in Bewegung. Lockführer und Heizer liefen noch hinterher, vergeblich. Zwar nicht mit hoher Geschwindigkeit, aber immerhin im Laufschrittempo dampfte die Lok, über mehrere unbewachte Überwege bis nach Ameln. Von Bedburg aus hatte man die Kollegen in Ameln noch verständigen können. So gelang es, die Lok nach einer Fahrt von 14 Kilometern an einem Prellbock zu stoppen. Dort sprang sie aus den Gleisen, aber Schaden war im übrigen nicht angerichtet worden.

Ein anderes „Malheurchen“ wird vom Bahnhof Mödrath berichtet. Zugführer Chistian F., ein schwergewichtiger Mann, hatte die Angewohnheit, beim Anhalten den Packwagen zu verlassen. Er stellte sich ein Stück abseits des Zuges auf den Zwischenbahnsteig und beobachtete von dort aus einiger Distanz die Abfertigung. Von hier gab er auch dem Lokführer den Abfahrtauftrag und sprang dann auf den sich langsam in Bewegung setzenden Zug auf.

Eines Tages lief er vergeblich dem in Richtung Liblar abdampfenden Zug nach. Was der Lokführer wußte, was man aber dem Zugführer verschwiegen hatte: an diesem Tag wurde der aus zwei Personen- und einem Packwagen bestehende Zug von einer schwereren Tenderlok mit größerer Zugkraft gezogen. Mit voller Kraft verließ der Zug den Bahnhof Mödrath, ohne Zugführer Chistian F. Seine Kollegen hatten ihm diesen Streich spielen wollen. In Liblar angekommen, fuhr man zurück nach Mödrath und nahm den Verzweifelten wieder auf.

Ein andermal, auf der Linie Bergheim-Niederaussem-Rommerskirchen, fehlten Bremser und Schaffner. Ein Hilfsschaffner sprang ein, der in diesem Metier nicht so vertraut war. Den Fahrgästen zeigte er seinen Kasten mit den verschiedenen Billets und ließ sie sich selbst bedienen. Auch mit der Rückgabe von Kleingeld nahm er es nicht so genau. „Stimmt“, erklärte er den verdutzten Fahrgästen, die er alle mit einem vertraulichen „Du“ anredete.

Mit solchen Methoden konnte sich ein „feiner Herr“ nun gar nicht anfreunden. In Niederaussem verließ er den Zug und beschwerte sich über die Behandlung durch den Aushilfsschaffner. Er bekam sein Kleingeld zurück, und für den Hilfsschaffner war der Dienst im Zug beendet.

Fortan bediente er die Schranken bei Kenten und das gewissenhaft. Als einmal der Landrat aus Bergheim mit seiner Kutsche vor den Schranken stand und Durchlaß erwartete, ließ er sich nicht erweichen. „Och, wenn Du d'r Landrat beß, mußte waade“, beschied er Landrat Graf Beissel, der die Gründung der Kreisbahn bewirkt hatte und sein oberster Dienstherr war.

Zu Teil 7 der Serie
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