Kölnische Rundschau vom 16.1.1960

Kommt Fühlingen endlich zum Zuge?
Beiderseits Köln: ALWEG im Gespräch


Frankfurt wählt zwischen zwei Systemen: Unterpflasterbahn vorn? Essen erwägt ALWEG-Bahn für Rüttenscheider Straße - Jedenfalls: Alle guten Wünsche!

Trotz Schnees und Eiseskälte, die zur Zeit in unseren Landstrichen regieren, scheint strichweise bereits der Lenz ausgebrochen zu sein. Nämlich im Norden Kölns, wo die ALWEG-Bahn ihr Versuchsgelände angesiedelt hat. Dort verzeichnet man neue Interessenten. Die ALWEG ist also wieder ins Gespräch gekommen, und zwar nicht etwa in überseeischen Bereichen, sondern in zwei Großstädten der Bundesrepublik. Es kommt ihr zugute, daß das ständige Wachsen des Straßenverkehrs allenthalben vor der Notwendigkeit stellt, andere Möglichkeiten oder andere „Ebenen“ zu suchen, um wenigstens die öffentlichen Verkehrsmittel von den stark beanspruchten Straßen hinwegzuzaubern.

> In Köln und München will man mit der Straßenbahn nach und nach unters Pflaster gehen. In beiden Städten hat bei der Beschlußfassung über die Art der zweiten Ebene die „Straße über der Erde“, also der ALWEG-Balken, keine Rolle gespielt. Man ist sozusagen schnurstracks unter die Straße marschiert.

> Anders in Frankfurt! Dort stößt in den einleitenden Diskussionen die Alternative „USTRA oder ALWEG?“ (USTRA ist die sinnige Abkürzung für Unterstraßen- oder Unterpflasterbahn).

> Und anders offenbar auch in Essen. Dort ist die Stadt gleichfalls an der ALWEG-Bahn interessiert. Jedenfalls steht das in der Westdeutschen Allgemeinen vom 15. Januar schwarz auf weiß zu lesen.

EVAG bestellte Modell

Kürzlich, so heißt es in der WAZ, haben Oberstadtdirektor Dr. Wolf, der Vorstand der Essener Verkehrs- AG (EVAG) und der Verkehrsausschuß des Rats die Versuchsstrecke in Köln-Fühlingen besichtigt. Und die EVAG hat der ALWEG-Forschung den Auftrag zum Entwurf einer Projektstudie erteilt. Diese soll die Verkehrsprobleme im Essener Süden und speziell die Frage untersuchen, ob und unter welchen Bedingungen der Einsatz einer solchen Einschienenbahn auf der Rüttenscheider Straße möglich sei.

Als erstes praktisches Ergebnis dieser Fühlungsmaßnahme wird ein betriebsfähiges Modell „Rüttenscheider Straße mit ALWEG-BAhn“ gebaut. Es soll im Herbst auf der Ausstellung „Schiene und Straße“ in den Essener Grugahallen gezeigt werden.

Neue Hochbahntypen.

Der Direktor der ALWEG-Forschung GmbH, Dipl.-Ing. Schuler, erklärte soeben bei einem Vortrag im Essener Haus der Technik hinsichtlich des Standes der Ausbildung, für die Versuchsstrecke in Köln-Fühlingen seien zwei ALWEG-Typen entwickelt worden: Normaltyp A für reinen Stadtbahn-Massenverkehr, Typ B für den Zubringer zu Flughäfen, Ausstellungen oder Satellitenstädten. Eine Dreiwageneinheit vom Typ A von 27,90 Meter Länge fasse 294 Fahrgäste.

Nach Überwindung anfänglicher „Kinderkrankheiten“ zeichneten sich die neuen Hochbahntypen durch hohe Reisegeschwindigkeit und Betriebssicherheit, schnelle Zugfolge, geräuscharmen Betrieb und relativ geringe Investitions- und Unterhaltungskosten aus.

Die Betriebskosten seien niedrig, weil kostspielige Oberbauten fortfielen. Große Reparaturwerkstätten erübrigten sich, da mit Karambolagen mit anderen Verkehrsteilnehmern nicht gerechnet zu werden brauche. Zur Überprüfung und Wartung der Wagen genügten rationell eingerichtete Revisionshallen.

Die nur wenig Raum beanspruchenden ALWEG-Stützpfeiler und der Fortfall von Straßenbahnen auf den von Balkenbahnen benutzten Straßen schafften zusätzlichen Fahrbahnraum für den Autoverkehr.

Schon heute müßten die Nahverkehrsbetriebe jährlich 1 Mill. DM an Mehrkosten für jeden Kilometer je Stunde zahlen, den die Straßenbahnen an Reisegeschwindigkeit einbüßten. In den Kernzonen der Großstädte sei diese Reisegeschwindigkeit auf Fußgängertempo, auf 5 km/st, abgesunken.

Technische und volkswirtschaftliche Bedenken äußerte Schuler (man möchte sagen: begreiflicherweise) zur Verlegung des öffentlichen Nahverkehrs unter die Erde. Unterstraßenbahnen seien erheblich koststpieliger als ALWEG-Bahnen.



Und nun: Stichwort „Frankfurt“

Schuler zeigte zur Ergänzung seines Vortrags Lichtbilder und graphische Darstellungen, die sich zum großen Teil auf das zur Zeit von der Stadt Frankfurt geprüfte Projekt eines Zwei-Linien-Stadtbahnnetzes nach dem ALWEG-System bezogen. Damit wäre das zweite Stichwort, nämlich Frankfurt, gefallen, wo bekanntlich ein Gutachten der Holzmann AG in Konkurrenz liegt: Hier Balkenbahn über, dort Straßenbahn unter der Erde.

Wofür wird sich die Mainmetropole entscheiden? Auf Grund jüngster Presseverlautbarungen ergibt sich der Eindruck, daß die Chancen für Fühlingen im Augenblick nicht gerade günstig stehen. Die Direktoren der Frankfurter Straßenbahn haben nämlich der Verkehrsdeputation des Magistrats inzwischen ihre Stellungnahme zur Frage des Baues einer ALWEG- oder einer Unterstraßenbahn vorgelegt. Dabei wird - laut Frankfurter Neue Presse - u.a. bemängelt,

> daß die ALWEG Bahn die Rentabilität ihrer Linienführung nicht im rechten Zusammenhang mit dem übrigen Straßenbahn- und Omnibusnetz errechnet habe und so zu falschen Ergebnissen komme.

> daß bei den Investitionskosten erhebliche Abweichungen bestünden (175 statt 136 Mill. DM). Der Bau des Ustraba-Netzes werde von der Straßenbahndirektion Frankfurt mit 222 Mill. DM angegeben gegenüber einem im Gutachten der Firma Holzmann angegebenen Betrag von 220 Mill. DM.

> In einer vergleichenden Abwägung der beiden Gutachten kommen die verantwortlichen Männer der Straßenbahndirektion zu folgendem Ergebnis:

Das System der Alweg-Bahn scheine geeignet, in bestimmten Fällen im Zielverkehr zwischen zwei gegebenen Verkehrsquellen eine schnelle Verbindung herzustellen. Sobald aber nach diesem System im Großstadtverkehr Netze gebildet und bedient werden müßten, zeige sich, daß Verzweigungen infolge der notwendigen Spezial-ALWEG-Weiche einen noch größeren Engpaß als im normalen Schienenbetrieb darstellten und niveaugleiche Kreuzungen überhaupt nicht möglich seien.

> Als weiteres, sehr bedeutsames Argument spielt nach der Stellungnahme der Umstand eine Rolle, daß durch die ALWEG-Bahn das Massenverkehrsmittel nicht von der Straße wegkommt: Wie jede Hochbahn nehme auch die ALWEG-Balken-Bahn durch ihre Stützen und die für ihre Aufstellung notwendigen Streifen, durch Bahnhöfe und Haltestelle etwa eine Trasse der Straßenfläche in Anspruch, die für den fließenden Fahrzeugverkehr verlorengehe und auch zum Parken nur bedingt geeignet sei.

Die Frankfurter Straßenbahn betrachtet die skizzenhaft gehaltenen Darlegungen über die Bahnhöfe und die Streckenführung als interessante Anregungen, die aber nicht die Reife hätten, die erforderlich sei, um mit einem neuen System besonderer Bauart ein Experiment zu machen.

> Endlich sei das für den großstädtischen Schnellverkehr vorgesehene dreiteilige ALWEG-Fahrzeug überhaupt noch nicht vorhanden, und die Erfahrungen mit dem in Köln-Fühlingen entwickelten Fahrzeug werden nicht als ausreichend angesehen, „um verantwortlich dazu Stellung nehmen zu können, wieweit es bereits für den Großstadtverkehr geeignet sei“.

Drei Ebenen?

Die Frankfurter Stadtverordneten würden, so heißt es in dem genannten Blatt, insbesondere die Frage zu entscheiden haben, ob und inwieweit der Bau einer ALWEG-Bahn in einer Großstadt städtebaulich überhaupt möglich und tragbar sein. In Einzelfällen seien auch besondere Tunnel für Fußgänger zu den Bahnhöfen erforderlich, so daß die ALWEG-Bahn neben der Trasse ihrer Stützbalken auf einer Ebene und der zweiten Ebene der Balken über der Erde noch auf eine dritte unter der Erde zurückgreife. Demgegenüber benutze die Ustraba auch bei Vermeidung niveaugleichen Kreuzungen ausschließlich den Raum unter der Straßenfläche. Die Zugänge zu den Bahnsteigen ließen sich so anlegen, daß sie den Straßenverkehr nicht nur nicht behinderten, sondern in Verbindung mit geplanten Fußgänger-Passerellen sogar entlasteten.

Die ALWEG-Bahn habe zudem ein besonderes Fahrzeug zur Voraussetzung, da seine Probe in der Praxis erst bestehen müsse, während die Ustraba den modernisierten Wagenpark der Straßenbahn weiter verwenden könne. (Dieses Argument hat in Köln eine entscheidende Rolle gespielt. - Redaktion der (R).)


„Außergewöhnliches Risiko“?

Die Straßenbahnverwaltung Frankfurt kommt zu dem Schluß, daß die Einführung des ALWEG-Systems ein „außergewöhnliches Risiko“ darstellen dürfte. Der Kostenaufwand allein könne nicht entscheidend sein, da es um Entscheidungen gehe, die für Generationen bestimmt seien. Deshalb glauben die Verantwortlichen, daß einer unterirdischen Führung der Straßenbahn in der Innenstadt und ihrer verkehrsgerechten Führung auf eigenem Bahnkörper in den Außenbezirken Frankfurts der Vorzug zu geben sei.

Entschieden ist wohlgemerkt noch nichts. Es kommt auf den Beschluß der Stadtverordneten an. Aber die Stellungnahme der Straßenbahndirektion ist sicherlich von Gewicht.

Abzuwarten bleibt, wie sich Essen in einem offenbar weniger umfangreichen Projekt entscheidet. Auf jeden Fall wäre zu wünschen, daß das ALWEG-System, das vor zwei Jahren auch in Wien im Rennen lag, einmal Gelegenheit bekäme, sich in der Praxis zu bewähren.

Jwk



Kölner Stadt-Anzeiger vom 15. März 1960 (Quer durch Köln)

Unter Pflaster und in der Luft

Auf der Suche nach Auswegen aus dem Verkehrschaos - Entscheidungen sind nötig
Von unserem Redaktionsmitglied Karl Zöller

Die Frühjahrsmesse bewies wieder einmal, wie notwendig es ist, schnell etwas zu tun, um den Straßenverkehr in der Innenstadt vor dem Ersticken zu bewahren. Die Vorarbeiten für die Unterführung der Schildergasse und der Cäcilienstraße durch die Nord-Süd-Straße sind im Gange. Und die Planung sieht für dieses Jahr den ersten Abschnitt einer unterirdisch fahrenden Straßenbahn zwischen Sternengasse und Apellhofplatz vor.

Dieses kurze Teilstück bringt natürlich nur eine unvollkommene Entlastung der Straßen. Rat und Verwaltung sollten deshalb darum bemüht sein, möglichst bald die Weiterführung der Strecke sowohl nach Süden in Richtung Severinsbrücke wie auch nach Norden zum Ebertplatz anzuschließen. Auch die im Generalverkehrsplan vorgesehene Abzweigung nach Westen, also etwa zur Aachener oder Venloer Straße, würde manches Verkehrsdilemma beseitigen, an dem wir heute schon kranken.

In einer Veröffentlichung nahm kürzlich der in Verkehrs- und Brückenfragen besonders versierte CDU-Stadtverordnete Robert Pflitsch zu diesen Vorschlägen Stellung, die nach seiner Meinung mit einem „Minimum an Kosten und größtem Nutzeffekt“ die City vor der völligen Verstopfung retten könnten.


Ernsthaft prüfen sollten Verwaltung und Rat noch einmal, ob die Alweg-Bahn das Kölner Fernverkehrsmittel werden kann

Zwar hat vor einigen Tagen der AvD, der Automobilclub von Deutschland, deshalb Einwände gegen die Unterpflasterbahn erhoben, weil sie mit normalen Straßenbahnzügen befahren wird und deshalb nach seiner Meinung nicht die genügende Kapazität aufbringt, die ein Massenverkehrsmittel braucht. Aber die vom AvD statt dessen empfohlene echte Untergrundbahn, die gewiß dank größerer Schnelligkeit stärkere Beförderungsleistungen erbringen würde, ist um ein Vielfaches teurer als eine Straßenbahn unter Pflaster. Ganz abgesehen davon dürfte es bei dem verhältnismäßig engen Innenstadtbezirk in Köln fraglich sein, ob eine echte Untergrundbahn wirklich wirtschaftlich wäre.

Für die Verbindung mit den Außenbezirken, etwa zur Nordstadt oder auch zum Wahner Flughafen, bietet sich nach wie vor die Alweg-Bahn an. Hier sind nach unseren Meinungen die Voraussetzungen gegeben, die eine solche Hochbahn rentabel machen könnten. Die Entfernungen sind groß genug, die Abstände zwischen den Haltestellen könnten so sein, daß die Bahn ihre Höchstgeschwindigkeit ausnutzen kann.

Daß die Alweg-Bahn noch nirgendwo unter den Bedingungen eines normalen Regelverkehrs erprobt ist, kann natürlich auf die Dauer kein Argument gegen sie sein. Auch die erste Eisenbahn hatte keine Vorgängerin, an der man sich hätte orientieren können. Die Fachleute des öffentlichen Verkehrs müßten doch feststellen können, ob das in Fühlingen gebaute und ausprobierte Modell den technischen und verkehrsmäßigen Bedingungen entspricht, die an ein öffentliches Verkehrsmittel gestellt werden müssen. Ist das der Fall, dann gibt es u. E. kein Hindernis, eine solche (verhältnismäßig billige) Einschienenbahn zu bauen, die der schnellen Verbindung über größere Strecken dient. Stellen die Fachleute aber technische Mängel des Systems fest, die sich nicht durch Umkonstrukionen beheben lassen, dann sollten sie das deutlich sagen und damit den Traum von der Bedeutung der Einschienenbahn beenden. Damit, daß - wie bislang - nur immer gesagt wird, es sei ungewiß, ob das Projekt verwendbar sei, man müsse noch abwarten, ist gar nichts gesagt.

Es dürfte deswegen an der Zeit sein, sich einmal gründlich mit den Möglichkeiten einer solchen Bahn zu befassen und klipp und klar zu sagen, ob sie für den öffentlichen Verkehr geeignet ist oder nicht.


Zwischen Sternengasse und Appellhofplatz soll der erste Abschnitt der sogenannten Unterpflasterbahn entstehen (schwarze Linie). Die gestrichelte Linie deutet die im Generalverkehrsplan vorgesehene Weiterführung über den Breslauer Platz zu Ebertplatz und nach Westen in Richtung Friesenplatz an.

© Copyright 2005 wisoveg.de