Aus: Europa Verkehr 4/1969


Japan gibt der ALWEG-Bahn eine Chance

Mit der Inbetriebnahme der bisher längsten jemals gebauten ALWEG-Bahn in Tokio wenige Wochen vor den Olympischen Spielen haben die Japaner zum Ausdruck gebracht, daß sie diesem neuen, aber noch immer sehr umstrittenen Massenbeförderungsmittel eine Chance geben, zumal außer dieser Bahn bereits zwei andere ALWEG-Anlagen in Japan - nämlich in Inuyama und Yomiuri - verausgegangen sind. Mithin besitzt Japan 3 ALWEG-Bahnen, über die nun die entsprechenden technischen, betrieblichen und wirtschaftlichen Erfahrungen gesammelt werden.

Es sei jedoch von vornherein im Hinblick auf eine realistische Beurteilung dieses Verkehrsmittels darauf hingewiesen, daß auch in Japan keine der drei ALWEG-Anlagen das spezifische Verkehrsproblem einer Großstadt zu lösen vermag, das die Metropolen in aller Welt in zunehmendem Maße zu strangulieren begonnen hat, denn alle drei Bahnen sind Spezialfälle, auch die nicht weniger als 13,2 km lange Haneda-Linie vom Zentrum Tokios zum Flughafen in dieser nunmehr größten Stadt der Welt. Zufällig ist sie genauso lang geworden, wie die berühmte Wuppertaler Schwebebahn, die gern als ideales Vorbild für eine Einschienenbahn zitiert wird, nur mit dem Unterschied, daß die Wuppertaler Einschienenbahn seit nunmehr über 60 Jahren einem tatsächlichen Verkehrsbedürfnis Rechnung trägt und durch ihr Dasein eine ungewöhnlich große Entlastung der Straßen im Zuge des Flußtales erreicht, während jene gleichlange in Tokio nur die eine Relation Innenstadt-Flughafen entlastet, also für die Gesamt-Verkehrskonzeption einer Vielmillionenstadt schlechthin ein Fragment bleibt.

Immerhin ist es höchst beachtlich, daß sich das wirtschaftlich und technisch mit großer Intensität aufstrebende Japan die Idee zu eigen gemacht hat, mit diesem neuartigen und technisch-revolutionären Massenverkehrsmittel bahnbrechend oder beispielgebend für die übrige Welt zu werden.

Bild 1: Die erste japanische ALWEG-Bahn Inuyama - Zoologischer Garten

Die erste japanische ALWEG-Bahn, als Resultat des 1960 getroffenen Lizenz-Abkommens zwischen Krupp und dem Waggonbau-konzern Hitachi, Tokio, wurde 1961 zwischen der Eisenbahnstation „Inuyama Yuen“ und einem 1,5 km davon entfernt gelegenen Zoologischen Garten eingeweiht, also auf einer Strecke, die vorwiegend einem Ausflugs- oder Erholungsverkehr dient, nicht aber jedem so dringend zu entlastenden Berufsverkehr innerhalb von Ballungsräumen. Als zweite folgte eine 1,9 km lange Linie vom Eisenbahnhof „Nishi-Ikuta“ aus einem Sportplatz, die starke Kurvenradien und große Steigungen aufweist, also technisch gute Voraussetzungen für den Bau einer solchen Bahn bot. Die dritte sowohl bedeutendste als auch längste schließlich bekam Tokio, und die zu erwartenden verkehrlichen Aufgaben während der Olympiade ließen es gebot erscheinen, die ALWEG-Bahn in zeitlicher Übereinstimmung mit dem beginnenden Olympiade-Verkehr zu erbauen und zu eröffnen. Sie wurde dann auch ein wirklicher Erfolg, sowohl technisch, betrieblich und auch wirtschaftlich, wenn auch der relativ hohe Fahrpreis auf die Dauer kaum gehalten werden kann und gewissermaßen als „Olympia-Fahrpreis“ betrachtet werden mußte. Bei der Auswahl dieser Strecke „Innenstadt-Flughafen“ war man von der Voraussetzung ausgegangen, daß ein unabhängiges schnelles Massenverkehrsmittel nicht nur mit Rücksicht auf den problematisch gewordenen Zubringer- und Abholdienst der Flugreisenden geeignet sein würde, sondern auch, daß der 13 km vom Stadtzentrum gelegene Flughafen Haneda eine besondere Attraktion und gern aufgesuchte Ausflugsstätte der Bevölkerung darstellt, so daß mit einem Minimum an Beförderungsfrequenz fast immer gerechnet werden könne. Aber die Terminologie „Attraktion“ und „Ausflugsstätte“ wiederum kennzeichnen den Spezial-Charakter der Linienführung, die sich abseits von den erdrückenden Berufsverkehrsproblemem bewegt, und man darf gespannt sein, ob dieser ALWEG-Bahn in Tokio auch nach Abklingen des Olympiade-Verkehrs ein einigermaßen rentables Dasein beschieden sein wird oder ob sie andererseits das Schicksal ihrer ebenbürtigen Vorgängerinnen in Turin (1961) und Seattle (USA, 1962) wird teilen müssen, wieder abgebrochen zu werden.

Bild 2: ALWEG-Bahn Tokio-Haneda, Sechswagenzug

Es dürfte keinem Zweifel unterliegen, daß die Tokioter ALWEG-Bahn gerade während der Olympiade eine hervorragende Demonstration für dieses neue Verkehrsmittel geliefert hat, denn sehr zahlreiche Besucher der Wettspiele sind dem auch in der japanischen Hauptstadt überquellenden Straßenverkehr mit all seinen Mißhelligkeiten, Belastungen und Problemen entgangen, wenn man nur bedenkt, daß ein Privatauto in den Stunden starker Verkehrsbelastung für die Strecke von der Innenstadt zum Flughafen Haneda mehr als eine Stunde benötigt, mit der ALWEG-Bahn aber nur 15 Minuten Fahrzeit entsteht, wobei noch berücksichtigt werden muß, daß die Fahrt mit einer Schnellbahn, der man sich risikolos anvertrauen kann, gegenüber einer solchen mit dem Kraftwagen ein Genuß und eine Erholung ist. Man rechnet daher für die ALWEG-Strecke mit einem Verkehrsaufkommen von 10 bis 14 Mio Fahrgästen im ersten Betriebsjahr. Ganz zweifellos werden die japanischen ALWEG-Anlagen bei den Fachleuten in aller Welt Furore machen, die sich an Ort und Stelle über die Betriebsbedingungen unterrichten und vergleichsweise die Möglichkeiten der Errichtung eines solchen Bahnsystems für den eigenen Wirkungsbereich erkennen werden.

Bild 3: ALWEG-Strecke am Hafen

Bei dem Strecken-Verlauf der Tokioter ALWEG-Bahn ist schließlich besonders interessant, daß die Bahn größtenteils übers offene Wasser geführt wird, wobei es galt, auch Schifffahrtswege bis zu 50 m Breite zu überbrücken. Außerdem entstand durch die Notwendigkeit, einen Flußlauf zu unterfahren, ein interessantes Tunnelbauwerk, während an einer dritten Stelle wiederum eine Auto-Hochstraße zu überbrücken war. Daher bietet gerade dieses Beispiel recht vielseitige Ansatzpunkte für Erfahrungen zum Bau und Betrieb einer ALWEG-Bahn unter verschiedenartigen topografischen, siedlungsstrukturellen und städtebaulichen Bedingungen. Schließlich wäre noch erwähnenswert, daß die Bahn mit den modernsten Einrichtungen der Signal- und Sicherheitstechnik ausgerüstet worden ist, z.B. in Form von punkt- und linienförmigen Befehls-Übertragungen auf Kabinen-Signale, induktive Übertragung der Signalbegriffe für Fahrten in abgestuften Geschwindigkeitsbereichen, elektronische Geschwindigkeitsüberwachung in Verbindung mit induktiven Fahrsperren u.a.m., so daß man - jedenfalls für diese Haneda-Bahn in Tokio - von einer gewissen technischen Perfektionierung bereits sprechen kann. -

Es bleibt nun - wie schon angedeutet - abzuwarten, ob die Erwartungen an diese Bahn auch weiterhin erfüllt bleiben wie es während der vorzüglichen Abwicklung in der Zeit der Olympischen Spiele der Fall gewesen ist.

Günter Stetza, Essen

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