Aus der Eifel für Europas Zukunft

Rainer Lommatzsch, Düsseldorf


Das Werk Hellenthal der Mannesmannröhren-Werke AG erlebte am 25. 8. 1972 einen besonderen Tag. Über 180 Gäste aus dem In- und Ausland, Wissenschaftler, Journalisten, Repräsentanten der kommunalen Behörden sowie Fachleute kamen zur festlichen Inbetriebnahme der Zircaloyrohr-Produktion. Der Festakt begann um 16.00 Uhr in der Produktionshalle der Zircaloyrohr-Fertigung. Der Vorstandsvorsitzende Franz-Josef Weisweiler begrüßte die Gäste. Die Festansprache hielt der Aufsichtsratsvorsitzende der Mannesmannröhren-Werke AG, Dr. Egon Overbeck. Danach folgten Begrüßungsworte des Hellenthaler Bürgermeisters Karl Dornseifer und ein Fachvortrag von Dr. Adolf Schiller, Leiter der Technischen Beratung der Mannesmannröhren-Werke AG. Vorstandsmitglied Werner Liesenfeld, zuständig für den Fertigungsbereich Spezialrohre und Weiterverarbeitung, gab mit dem Druck auf einen roten Knopf grünes Licht für den Produktionsbeginn.

Dr. Overbeck betonte in seiner Festrede: „Hellenthaler Reaktorrohre sind gewissermaßen das höchst zerbrechliche Porzellan aus der guten Stube der Mannesmannröhren - Werke. Zum Säubern und sorgsamen Verpacken wurde es den Frauenhänden anvertraut. Deshalb ist Hellenthal auch unser einziges Werk, in dem in nennenswertem Umfang Frauen arbeiten. Die Fertigung und Prüfung der Zircaloyrohre stellt höchste Anforderungen.“


Zircaloyrohre für Druck- und Siedewasserreaktoren

„In Hellenthal ist man Feines und Teueres, aber auch saubere, ordentliche Qualitätsarbeit gewohnt. Hier hab es von altersher ein Hüttenwerk, dann sogar einen Hochofen, der allerdings schon 1852 erlosch, und hier wurde immer wieder Neues unternommen: In den Jahren 1803 bis 1805 machte Johann-Peter Poensgen als Hüttenmeister zu Hellenthal wie viele seiner Kollegen an anderen Orten vor und nach ihm den Versuch, ein besonderes Stahlgußverfahren zu entwickeln und eine neue Stahlfabrik zu errichten, deren Erzeugnisse den englischen Stahl verdrängen sollten. Der Platz Hellenthal war dafür geeignet, nicht aber das Herstellungsverfahren, das Poensgens niederländischer Gewährsmann in das Unternehmen einbrachte. Johann-Peter Poensgen und sein Bruder verloren mehr als 4.000 Taler. Mit mir sind Sie gewiß zuversichtlich, daß es den Mannesmannröhren - Werken mit der Zircaloyrohr-Fertigung in Hellenthal nicht so ergehen wird.“ Dr. Overbeck führte weiter aus: „Daß hier eine Mannschaft arbeitet, die all das meistert und treu zu ihrer Aufgabe steht, war der wichtigste Grund für die Spezialisierung Hellenthals auf Rohre höchster Qualität und höchster Präzision und den Aufbau der Zircaloyrohr-Fertigung an diesem Ort, an dem Mannesmann bleiben möchte.

Für die Umstrukturierung Hellenthals sind insgesamt fast 47 Millionen DM vorgesehen. Ein beachtlicher Teil davon ist bereits ausgegeben, darunter etwa 15 Millionen DM für die Zircaloyrohr-Fertigung. Weitere beachtliche Summen verlangt die neue Fertigung von Wärmetauscherrohren für Kernkraftwerke, die zur Zeit entsteht. Von dem 55.000 qm großen Gelände des Werkes ist etwa ein Drittel mit Fabrikationsräumen belegt. Die Mannesmannröhren-Werke investierten seit der Aufnahme ihrer Tätigkeit Anfang 1970 bis heute insgesamt 481 Millionen DM.


Kaltpilgermaschine der Zircaloyrohr-Produktion

Hier werden nur 80 Tonnen von der gesamten Monatsproduktion der Mannesmannröhren-Werke von etwa 220.000 Tonnen hergestellt. Hellenthal ist nach Produktionsmenge und Mitarbeiterzahl das kleinste Werk der Mannesmannröhren-Werke, aber das Werk mit dem höchsten Umsatz je Mitarbeiter.

1972 planen die Mannesmannröhren-Werke, 2,62 Millionen Tonnen Rohre zu fertigen, etwa 8 % mehr als 1971. Sie verfolgen ein langfristig angelegtes Programm mit dem Ziel, die Spezialrohrsorten zu stärken. Aus dieser Landschaft, von der die deutsche Stahlrohrindustrie ihren Ausgang nahm, wo vor 125 Jahren Poensgen die ersten Siederohre herstellte, gehen heute Spitzenerzeugnisse in alle Welt. Hier werden neue Zeilen in die Geschichte der Rohrherstellung eingeschrieben.“

Vor der Einweihung der Zircaloyrohr-Produktion gab der Vorstand der Mannesmannröhren-Werke für über 30 Journalisten der Tages- und Fachpresse eine Pressekonferenz. Franz-Josef Weisweiler, Werner Liesenfeld und Dr. Günter Mausbach beantworteten die Fragen der Presseleute während eines 40 Minuten langen Pressegesprächs.

„Mit der Aufnahme der Brennelement-Hüllrohre aus Zircaloy ergänzen die Mannesmannröhren-Werke ihre Angebotspalette auf dem Spezialsektor. Wir haben uns gerade in den letzten Jahren intensiv bemüht, neben der Herstellung von guten und billigen Massenrohren den Anteil der Qualitätsrohre an der Gesamterzeugung zu steigern“, führte Franz-Josef Weisweiler auf der Pressekonferenz im Hellenthaler Rathaus aus.

„Die ständig steigende Nachfrage - vor allem auf dem Sektor Kraftwerksbau - kommt diesem Vorhaben sehr entgegen. Hier gilt es, die Energielücke durch den Neubau von Kraftwerken zu schließen. An der Entwicklung haben die Kernenergiekraftwerke erheblichen Anteil. Diese Anlagen sind ausgesprochen rohrfreundlich, weil jährlich ein Teil der Brennelement-Hüllrohre, die den Reaktorbrennstoff enthalten, ausgetauscht werden müssen“, stellte Franz-Josef Weisweiler fest.

Zircaloyrohre stellen eine Besonderheit in ihrer Verarbeitungstechnologie dar. Der Werkstoff Zircaloy findet wegen seines günstigen Absorptionsquerschnitts für thermische Neutronen und wegen seiner Korrosionsbeständigkeit bei hohen Temperaturen und Drücken in Druck- und Siedewasserreaktoren Verwendung.

Die Mannesmannröhren-Werke AG hat bisher schon andere Spezialrohre, z. B. Wärmetauschersysteme, für mehr als 70 Kernenergieanlagen im In- und Ausland geliefert.

Bisher hat das Werk Hellenthal einen Umsatz - ohne Zircaloyrohre - von 25 Mio DM erzielt. Bei Vollauslastung der Kapazitäten wird mit Zircaloy ein Umsatz von etwa 12 Mio DM erwartet. Der Exportanteil der Zircaloyrohre wird mit 30 % angegeben. Frauen stellen 10 % der Belegschaft. Wegen der hohen qualitativen Anforderungen sind rund 50 % der Verarbeitungskosten Prüfkosten.


Haarnadelförmig gebogene Rohrsysteme für Wärmetauscher

In dem Reaktorrohrcenter Hellenthal fertigen rund 400 Mitarbeiter in drei Bereichen: Brennelement-Hüllrohre aus Zirkoniumlegierungen für Druck- und Siedewasserreaktoren, hochlegierte Wärmetauscherrohre und Leitungsrohre sowie Edelstahl-Dünnwandrohre für Sonderzwecke.

Die Kapazität für Zircaloyrohre ist vorerst auf 60 jato = 360.000 m ausgelegt, die Kapazität für hochlegierte Wärmetauscher- und Leitungsrohre 1.200 jato = 2.400.000 m und die Kapazität für Edelstahl-Dünnwandrohre ca. 24 jato, das entspricht 240.000 m.

Franz-Josef Weisweiler, Vorstandsvorsitzender der Mannesmannröhren-Werke AG, betonte abschließend: „Die nächste Generation im Reaktorbau, die schnellen Brüter, werden in einigen Jahren die Druck- und Siedewasserreaktoren ablösen. Wir sind daher schon heute dabei, für den kommenden Reaktortyp das optimale Rohr zu entwickeln.“

Entnommen: Kreis Euskirchen - Jahrbuch 1973

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