„Kölner Zucker“ aus dem Euskirchener Land

Von Wolf Perdelwitz


„Man könnte also sagen: die Ernte ist gut?“ „Sehr gut!“ - der Direktor der Zuckerfabrik Pfeifer & Langen in Euskirchen beantwortet die Frage nach dem Ergebnis der Rübenernte 1967 mit Überzeugung, mit viel Überzeugung sogar - denn immerhin: etwa ein Zehntel mehr als in normalen Jahren wurden geerntet. Von Anfang Oktober bis Mitte Dezember dauert die Rübenkampagne. Die „Zuckertürme“, die Silos an der Straße nach Kuchenheim füllen sich. Seit der Kampagne 1966 sind in der Fabrik verschiedene Anlagen und Einrichtungen erbaut oder fertiggestellt worden. Sie alle dienen dem Ziel: gute Qualität und reibungslose Produktion.

Ein langer Arbeitsprozeß ist notwendig, ehe aus den Zuckerrüben, wie sie der Landwirt auf dem Felde erntet, die rein-weißen Zuckerkristalle werden, mit denen zum Beispiel Weihnachtsgebäck erst seinen „richtigen Geschmack“ bekommt.

Viereinhalbtausend Tonnen Zuckerrüben werden täglich in dieser Kampagne in der Euskirchener Zuckerfabrik verarbeitet. Zum Transport dieser Menge müßten 225 Güterwagen - viereinhalb Güterzüge - der Bundesbahn eingesetzt werden.

360.000 Tonnen Rüben werden voraussichtlich die Tore der Euskirchener Fabrik bis zum Ende der Kampagne passieren. Bei der vorigen Ernte waren es lediglich 280.000 Tonnen - normal sind etwa 300.000 Tonnen.


Zeit der Zuckerkampagne
Foto: S. Rick


Alles automatisch

Noch vor Jahren war das Abladen der Rüben in der Fabrik eine recht mühselige Angelegenheit. Inzwischen geht das alles schnell und automatisch. Auch im übrigen Betriebsablauf wurde im Laufe der Jahre automatisiert, mechanisiert und rationalisiert.

Wer durch die Fabrik geht, könnte sich genauso auch in einen modernen Zweigbetrieb der Großchemie versetzt fühlen. Doch genau damit hat die Zuckerherstellung nichts zu tun - chemische Zusätze sind schon seit Jahrzehnten in der Zuckerindustrie gesetzlich verboten - sie sind auch gar nicht erforderlich. Wer im Laden ein Zuckerpaket kauft, kann sicher sein, mit dem Inhalt eines der reinsten und unverfälschtesten Naturprodukte zu erwerben.


Wasser und Steine

Mit Wasserdruck werden die Rüben aus den Waggons gespült, mit ihnen auch die daranklebende Erde, die Blätter und auch Steine, Metallzeug, das im Acker lag und alles mögliche sonst, was in der Rübenverarbeitung eigentlich nichts zu suchen hätte. Lastwagen und Traktoranhänger werden leergekippt.

Täglich werden etwa 500 Tonnen Erde von den Knollen abgespült. In nassen Jahren ist es sogar noch mehr. Zwei Lkw-Fuhren Steine werden täglich - vollautomatisch - aussortiert, dazu noch 15 Fuhren Rebenblätter. Für die Rübenernte wurde ein neues Klärbecken gebaut - 50 Meter im Durchmesser. Das Waschwasser wird hineingepumpt, die Erde setzt sich ab, der Schlamm wird herausgesaugt und zu den Schlammweihern gepumpt, die insgesamt eine Fläche von 48 Hektar einnehmen.

Um noch kurz bei den Zahlen zu bleiben: das Fabrikgelände ist etwa 35 Hektar groß, 273 Arbeiter und 48 Angestellte und Meister arbeiten während dieser Kampagne dort, 2600 Landwirte liefern ihre Zuckerrüben an.


Von weit her

Während der Kampagne werden etwa hundert Arbeitskräfte zusätzlich gebraucht. Früher war das einfach: die zusätzlichen Arbeitskräfte wurden für die drei Monate in Euskirchen und Umgebung angeworben. Heute ist das nicht mehr so einfach - selbst im Euskirchener Land und selbst während der „Konjunktur-Talsohle“ gibt es wenig Saison Arbeiter. Die Zuckerfabrik holt einen großen Teil der zusätzlichen Arbeitskräfte von weit her: aus dem Bayrischen Wald.


Archivbild: 1958
Foto: Kl. Mertens


Keine Schlangen

In den zurückliegenden Jahren war das ein gewohnter Anblick: lange Schlangen von Traktoren mit rübenbeladenen Anhängern auf den Straßen rund um die Zuckerfabrik. Jeder wollte seine Knollen loswerden, wenn sie geerntet waren, und geerntet wurde, wenn es gerade günstig erschien.

In diesem Jahr gibt es das nicht. Der Lieferplan wurde neu geordnet, und die Fabrik achtet darauf, daß der Plan eingehalten wird. Populär war diese Maßnahme sicher nicht, doch der Erfolg ist offenkundig.

Die „Rübenschlangen“ sind von den Straßen weitgehend verschwunden, die Landwirte müssen nicht mehr stundenlang warten, ehe sie ihre Rüben abladen können, und obendrein geht alles viel schneller.


Turbinenanlage
P. Fischer


Ständige Kontrollen

Erstmals konnten wir bei unserem Rundgang durch die Fabrik auch das chemische Labor betreten. Wenn auch die Zuckerherstellung mit chemischen Zusätzen nichts zu tun hat - zur Überwachung der Herstellung ist die Chemie, wie auch die Physik, sehr wohl notwendig.

Im Labor wird der gesamte Verlauf der Verarbeitung lückenlos überwacht. Ständig wird eine Fülle von Proben aus allen Produktionsstufen untersucht.


In einer Steuerzentrale mit Fernsehgerät zur Kontrolle
Foto: S. Rick

Darüber hinaus betreibt das Labor auch Forschungsarbeit: Verfahrensversuche werden angestellt. So sagte man uns zum Beispiel, daß ein neuartiges optisches Kontrollgerät seine erste praktische Erprobung in diesem Labor bestand. Das Gerät wurde von der Firma Zeiss entwickelt; es dient dazu, den Zuckergehalt von Flüssigkeiten schnell und exakte festzustellen.


Mit Fernsehen

Für Fachleute und Laien gleichermaßen imponierend ist ein Gang durch die Steuerzentralen des Betriebes. Von diesen Zentralen aus werden die voll- und halbautomatisch arbeitenden Maschinen überwacht und gesteuert.

Der Weg der Knollen und der übrig bleibenden Rübenschnitzel - ein wertvolles Kraftfutter - wird sogar mit festeingebauten Fernsehkameras überwacht und auf einen Bildschirm in einer der Steuerzentralen übertragen.


Filteranlage
Foto: S. Rick

Von ansehnlichem Ausmaß ist auch das Kraftwerk der Fabrik. Zwei Turbinen erzeugen stündlich etwa 5.000 Kilowatt Strom, im Kesselhaus werden stündlich hundert Tonnen Dampf erzeugt. Für die Wasserversorgung wurde eine neue Zentrale errichtet - in jeder Minute werden immerhin vier bis viereinhalb Kubikmeter Wasser in der Fabrik gebraucht.

Für Euskirchen und die weite Umgebung ist die Arbeit der Zuckerfabrik von großer Bedeutung. 28.000 Morgen Land im Einzugsgebiet sind mit Rüben bebaut, Abnahmestationen der Fabrik bestehen in Erp, Vettweiß, Zülpich und Meckenheim. Die Landwirtschaft und damit ein großer Teil der gesamten Wirtschaft des Kreises sind in nicht unbedeutendem Maße darauf angewiesen, daß diese Fabrik arbeitet und damit - schlicht gesagt - Geld unter die Leute bringt.

Entnommen: Heimatkalender des Kreises Euskirchen 1968

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