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Die „ortsübliche Bekanntmachung“

Münstereifel. Dreimal täglich besteht die Möglichkeit in Münstereifel, daß helles Klingeln diktatorisch in den Tagesablauf eingreift. Während zwei dieser Möglichkeiten nur in den Morgenstunden allzu lange Schläfer aus süßem Schlummer (bekanntlich ist der Schlaf vor Mitternacht der Beste) zu stören vermögen, ist man vor der dritten Möglichkeit zu keiner Tages- und Nachzeit sicher. Es gehört schon ein musikalisch äußerst feines Ohr dazu, die drei Glocken mit Sicherheit auseinanderzuhalten; ganz Vorsichtige rennen jedesmal schleunigst zur Türe, um sich durch Augenschein den Ohreneindruck bestätigen zu lassen.

Da ist also zunächst einmal der eilige Milchmann mit dem fixen Auto, der aus Zeitersparnisgründen bei jedem Halt den Motor abzustellen unterläßt. Seine helle Glocke wird aus Gründen der besseren Unterscheidung manchmal durch rhythmisches Hupen untermalt. Während sich hier also große Schwierigkeiten kaum ergeben können, wird’s schon peinlicher, wenn der zweite Milchmann seiner Glocke ehernen Ton in die Lüfte sendet. Das Klappern von Hufen, die einem eleganten, gut gepflegten braunen Pferdchen gehören, das jeden Haltepunkt aus jahrelanger Erfahrung sicher einhält und völlig selbständig wendet, wo es nottut, dringt nicht in jede Küche, so daß auch hier ein Blick auf die Straße einzige Sicherheit gibt, will man nicht später den Weg zur Verkaufsstelle auf sich nehmen.


Bild: Elbern

Die dritte Möglichkeit aber ist eigentlich für jeden, der einen Funken Gefühl für die Tonhöhe einer Glocke und deren rhythmische, zum Schluß schneller aufeinanderfolgende Schläge hat, unverkennbar. Hier offenbart sich das seit Jahren stets gleichbleibende Gefühl für die Eindringlichkeit einer bestimmten Anzahl von Anschlägen des Klöppels, jedesmal an den gleichen Stellen der Stadt, wo die meisten Ohren mit den wichtigen Bekanntmachungen erfaßt werden. Da handelt es sich dann schon mal darum, daß am Dienstagnachmittag im St. Josephs-Heim eine Mütterberatung stattfindet. Ein andermal muß die Wasserleitung von vier bis sechs gesperrt werden. Alle vier Wochen durchschnittlich ruft der Stadtdirektor zu einer dringenden öffentlichen Sitzung der Stadtvertretung auf. Dann wieder wird mit durchdringender Stimme auf „die an den öffentlichen Anschlagstellen aushängenden Bekanntmachungen“ hingewiesen. Manchmal aber auch hat ein armer Teufel seine Briefmappe verloren, in diesen Fällen wird der „ehrliche Finder“ laut und vernehmlich gebeten, sie gegen gute Belohnung auf Zimmer vier des Rathauses abzugeben. Zu Wahlzeiten aber hat die „örtliche Bekanntmachung“ Hochkonjunktur. Fast jeden Abend findet eine Versammlung im Badehof statt, zu der die Parteileitung herzlichst einlädt. Da geht’s dann nicht mehr zu Fuß, hoch zu Stahlroß flitzt der Gemeindebüttel, in der hand die blaue Mappe und unter dem Arm die Glocke eingeklemmt, zu den feststehenden Bekanntmachungspunkten und schellt aus Armes- und macht bekannt als Leibeskräften.

Des Basses Grundgewalt, in ungezählten Proben und Konzerten des MGV „Liedertafel“ zu einem Organ von unerschütterlicher Durchschlagskraft geschult, ist nicht ersetzbar für Münstereifel. Das kleine Männchen, eifrig durch die Straßen schreitend, mit einer ins Genick geschobenen Mütze, gehört zum Stadtbild wie Köln zu seinem Dom. Wohl an die 50 Mal muß der Vielgeplagte sein Sprüchlein hersagen; und wie manches Fenster öffnet sich zwischendurch noch und ein altes, schwerhöriges Mütterchen fragt nach den Neuigkeiten. Ohne verdrießlich zu werden, wird dann der Inhalt der Bekanntmachung, manchmal auf das Wesentlichste beschränkt, manchmal aber auch, wenns gar zu schwierig ist, im Wortlaut, aber in inoffizieller Lautstärke wiederholt. Besonders oft tritt das in der Hauptstraße ein - denn wie manches Mal rattert da ein Motorrad in den Text, wie oft heult ein Motor, keine Sekunde ist Stille. Und kommt gar ein schwerbeladener Lastzug aufdonnernd zu Tal gefahren, dann stemmt das Männchen sich mit seiner Stentorstimme dagegen, daß es eine Pracht ist.

Und das alles im Zeitalter des Radio und der Tageszeitungen! Ein sTück Gemütlichkeit bedeutet dies „ortsübliche Bekanntmachung“ für jeden, der in seinem Herzen noch ein Eckchen frei hat für aussterbende Romantik, der fühlt, daß im Getriebe der Kurstadt und im pulsierenden Verkehr der Reichsstraße 51 die alte Zeit einen schweren Kampf gegen modernen Fortschritt und Zivilisation in der Gestalt des unermüdlichen stimmgewaltigen „Hansens Hein“.


Aus: Euskirchener Volksblatt vom 26.8.1950





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